„… da haben die die ganze Hütte besetzt …“

Gesprächsrunde über die Ostberliner HausbesetzerInnenbewegung in den 1990er Jahren – Teil1

1990, im letzten Jahr der DDR, entwickelte sich eine der größten Hausbesetzerbewegungen in Deutschland. Bis zum Sommer 1990 wurden in Ostberlin hunderte Häuser besetzt. Hauptsächlich in den Stadtbezirken Prenzlauer Berg, Mitte, Friedrichshain und Lichtenberg. Anfänglich nur von Ostberlinern, schnell aber auch von vielen Menschen aus Westberlin und der BRD. Im Sommer 2011 traf sich eine Gruppe ehemaliger Berliner Hausbesetzer in einer Mietwohnküche im Prenzlauer Berg. Sie schauten zurück und sprachen über das Leben als Hausbesetzer. Den Ebenen des Alltags, Idealen, Solidarität, Kampf, Räumung. Über politische Ansprüche und gesellschaftliche Realitäten sowie über Sinn und Unsinn von Hausbesetzungen – damals wie heute.

HausbesetzerfahneVom Ostberliner Magistrat geduldet, entwickelten die Bewohner der besetzten Häuser schnell eigene Strukturen und ein eigenes freies und selbstbestimmtes Leben. Seit Sommer 1990 fanden zwischen dem Gesamtbesetzerrat und dem Magistrat Verhandlungen über eine offizielle Legalisierung der Häuser statt.

Der erzielte Verhandlungserfolg wurde nach der Übergabe der DDR an die BRD jedoch schnell revidiert. Die Bundesregierung und vor allem der Rot/Grüne Senat von Walter Momper hatten kein Interesse an derart freien Wohnstrukturen und gingen schon einen Monat nach der sogenannten Deutschen Einheit gegen die Hausbesetzer vor. Vom 12-14. November 1990 lieferten sich 100erte Hausbesetzer mit bis zu 4000 Polizisten Straßen- und Barrikadenkämpfe um die Mainzer Straße im Stadtbezirk Friedrichshain und in der Pfarrstraße im Stadtbezirk Lichtenberg. Letztendlich konnten die BesetzerInnen der militärischen Übermacht der Polizei nicht standhalten, so dass mehrere Häuser in der Pfarrstraße und alle 14 Häuser in der Mainzer Straße gewaltsam geräumt wurden. Als erste direkte Folge zerbrach der Rot/Grüne-Senat. Die Grünen warfen der SPD selbstherrliches Handeln vor und verließen die Regierung.

Erschüttert von der Heftigkeit der Auseinandersetzungen um die Mainzer Straße waren der neue Senat und die Bezirksämter zu Verhandlungen bereit. In deren Folge gelang es in den meisten Fällen, akzeptable Mietverträge auszuhandeln. Heute, 22 Jahre später, gibt es in Berlin quasi keine besetzten Häuser mehr. Neubesetzungen werden nicht toleriert und sofort geräumt. Viele der damals besetzten Hauser sind nun in privates Eigentum übergegangen. Nicht selten versuchen die neuen Hausbesitzer, kaum dass sie das Haus ihrer Wünsche erworben haben, die Hausbesetzer von einst los zu werden, um die Häuser sanieren und teuer verkaufen zu können.

Schoenhauser Allee Herbst 1989
Im Herbst 1989 wurden die Häuser Schönhauser Allee 20 / 21 für besetzt erklärt. Damit begann die Hausbesetzerbewegung der 1990 Jahre

Jüngste Belege dafür sind die Räumung der Brunnenstraße 183 in Mitte und der Liebigstraße 14 in Friedrichshain in den Jahren 2009/2010. In all den Jahren konnten sich die Hausbesitzer auf die Zustimmung und politische Rückendeckung des Berliner Senats verlassen. Egal, ob dieser nun von Rot/Grün, Schwarz/Rot, Rot/Rot oder Rot/Schwarz gebildet wurde. Zur Durchsetzung ihrer Wünsche konnten und können die Hausbesitzer stets auf die geballte Kraft der Polizei zurückgreifen, bezahlt vom Steuerzahler.

So stellt sich einmal mehr die Frage, was geblieben ist von über 140 besetzten Häusern und tausendfacher Ablehnung von privatem Hausbesitz, sowie der Verweigerung von Mietwucher. Was ist geblieben von der Hoffnung auf bezahlbaren Wohnraum für alle und dem Versuch neuer kollektiver Lebensformen? Welchen Sinn macht die Besetzung von Häusern, wenn sich diese zehn Jahre später wieder in der Hand von Mietspekulanten befinden und die Mietsituation in Berlin schlimmer ist als je zuvor?

Im Sommer 2011 traf sich eine Gruppe ehemaliger Berliner Hausbesetzer in einer Mietwohnküche im Prenzlauer Berg. Sie schauten zurück und sprachen über das Leben als Hausbesetzer. Den Ebenen des Alltags, Idealen, Solidarität, Kampf, Räumung. Über politische Ansprüche und gesellschaftliche Realitäten sowie über Sinn und Unsinn von Hausbesetzungen – damals wie heute.

Ein ganz besonderer Dank für das unermüdliche Abtippen geht an Clara und Johanna.

David: Ich bin David, Linienstraße 206, eingezogen 1990 und 2 Jahre dort gewohnt.
Maia: Hallo, ich bin Maia. Ich wohne seit Oktober letzten Jahres in der Brunnenstraße 7.
Dietmar: Du hast doch vorher noch wo anders gewohnt?
Maia: Ich habe vorher mal in der Yorckstraße gewohnt. 5 Jahre lang, bis zur Räumung.
Dietmar: Zählt ja mit.
Maia: Genau, das zählt auf jeden Fall mit.
Rüdiger: Linienstraße 206. Von 1990 bis ’92 und dann nochmal von ’95 bis ’99. Zwischen durch bin ich mal kurz raus gegangen, brauchte ’ne kleine Auszeit. Ja! Dann bin ich wieder gekommen.
Molti: Schreinerstraße 47. Wir haben ’89 besetzt und ich wohne da seit dem in dem Haus. Aber wir sind keine Besetzer mehr. Wir haben seit 2007 Verträge. Nein, seit 1997 glaube ich…ist schon lange her.
Wolfram: Lottumstraße 10A Vorderhaus. Von 1990 bis 1994. Wa Dietmar? Ja 94?! Ungefähr so.
Dietmar: Kommt hin, ja.
Sascha: Lottumstraße 10A Vorderhaus, von 1990 bis 1996.
Michl: Ich bin der Michl, auch aus der Linienstraße 206 und ja hab die von Anfang an eigentlich mit besetzt und habe da von 1990 bis 1997, so ungefähr, gewohnt. Auch mit kleinen Unterbrechungen.
Natalie: Ich bin Natalie. Die erste Besetzung war die Mainzer. Da sind wir geräumt worden und dann hat uns die Linienstraße 206 aufgenommen und da habe ich dann bis ’94 gewohnt.
Dietmar: Mainzerstraße, welche Nummer?
Natalie: 24, Hinterhaus.
Heinke: Ich heiße Heinke, komm aus der Brunnenstraße. Wohne da seit Anfang ’93 und bin immer noch dort.
Andrej: Neue Schönhauser / Ecke Rosenthaler Straße, 1990 -1992 Hinterhaus
Dietmar: Ja, hallo, ich bin Dietmar. Ich hab auch in der Lottumstraße 10A gewohnt. Ich habe das Haus 1990 mit besetzt, 1990, und bis Oktober 1994 dort gewohnt.

Dietmar: Anfang 1990 bis etwa August wurden in Ostberlin ca. mehrere hundert Häuser besetzt. Alles leer stehende Häuser. Hauptsächlich in Prenzlauer Berg, Mitte, Friedrichshain und Lichtenberg. Wie kam es dazu? Wisst ihr das? Könnt ihr was dazu sagen? Und warum wurde plötzlich in Massen besetzt?

David: Also, wie es dazu kam. Es gab, glaube ich, zwei verschiedene Wellen, nämlich eine Ost- und eine West-Welle. Für die Leute aus dem Westen bot sich da auch eine einmalige Chance, da rein zu grätschen und unser Haus ist ja eigentlich mal aus einer 1. Mai-Bewegung heraus besetzt worden. Ja. In erster Linie einfach deswegen, weil es die Chance gab, das durchzuziehen.

Rüdiger: Ich wollte mich anschließen, mit dieser 1. Mai-Gruppe. Weil, wir waren mehrere verschiedene politische Gruppierungen, die sich eh schon kannten, aus Westberlin und wir hatten dann auf so einem Treffen ’89 für uns beschlossen, als politische Gruppierungen, wir wollen auch zusammen leben und zusammen politisch arbeiten, Wohnraum für uns aneignen, was wir legitim fanden. Wir wollten halt nicht mehr so viel Miete zahlen, einfach politisch wirken. Und daraus ist das entstanden. Und wir haben uns auch zielgerichtet dann auf den Weg gemacht und in Ostberlin ein Haus gesucht, was in Westberlin sehr umstritten war. Es gab den Vorwurf von wegen Okkupation. Ihr könnt doch nicht einfach in den Osten gehen und es euch so einfach machen. Im Westen ist die Berliner Linie. Es war sehr umstritten und trotzdem haben wir es für richtig gehalten und haben es dann gemacht.

Besetzerzeitung Nr.1 vom 14.8.1990.jpgDie erste Ausgabe der HausbesetzerInnenzeitung

 

Wolfram: Es gab ganz sicher zwei verschiedene oder drei verschiedene Motivationen. Das, was ’89/ ’90 passiert ist, angefangen mit der Besetzung der Schönhauser 20/21, passierte im Grunde in Fortführung der Wohnungsbesetzungen, die in Prenzlauer Berg seit den 80er Jahren quasi Usus waren. Ansonsten hast du ja keine Wohnungen gekriegt. Da waren dann die ersten in der Schönhauser. Das war glaube ich August ´89 gewesen. Da haben die die ganze Hütte besetzt und was dann folgte war, also nach meiner Wahrnehmung, die Idee, dass man dann auch ein Haus als ganze Gruppe besetzen kann und dass man dann Politik nicht mehr im Wohnzimmer macht, so wie man das die ganzen Jahre vorher in der DDR gemacht hatte. Dass man also auch die Freiräume hat um auch nach außen zu wirken. Das war der eine Aspekt. Dann gab´s einen zweiten Aspekt. Davon hatten wir in Prenzlauer Berg auch ´ne Menge. Die wollten einfach nur schöner Wohnen. Das heißt, sie wollten billig, was heißt billig, na sie wollten einfach praktikablen Wohnraum für ihre Lebensentwürfe haben. Das hat sich ja dann auch durchgezogen. Und das Nächste war, die Welle von Hausbesetzungen, das betrifft vor allem Friedrichshain, die aus Westberlin kamen. Du erinnerst dich Dietmar, da gab´s ja noch einen Aufruf, den wir in Westberlin verteilt haben. Und ich glaube, da hast du auch mitgeschrieben. Wenn ich recht im Hirne habe: Kommt rüber, wir haben in Friedrichshain noch so und so viele leer stehende Hütten. Und das war dann die große Welle, das muss Mai gewesen sein. Na, das muss Ende April Anfang Mai gewesen sein. Und das hat ja dann mehrfach Verbreitung gefunden, in verschiedenen anderen Zeitungen. Und naja, dann sind allen in Friedrichshain die Hütten vollgelaufen, mit Leuten mit ganz unterschiedlichen Gründen, das waren ja auch soziale Gruppen. Das waren ja nicht nur irgendwelche Politnics, die sich aus Westberlin zusammengefunden haben. Nee, das waren ja auch zum Teil Leute, die nicht mehr unter der Brücke pennen wollten. Das war ja okay. Weil sie standen ja leer. Weil im Osten waren es ja auch die Häuser, die zum Abriss standen, wo sie rein gegangen sind.

Molti: Ich kann das nur bestätigen. Wir haben ja alle Wohnungen gehabt, besetzte Wohnungen. Es hat ja keiner eine Wohnung über Wohnungsamt gekriegt bei uns. Im Herbst ’89 dachten wir dann: In ein Haus zusammenziehen, wäre eigentlich das Beste, da sehen wir uns dann öfter, weil wir sowieso von früh bis spät alles zusammen gemacht haben: Kirche von Unten, Umweltbibliothek und so etwas. Und dann haben wir uns das Haus in der Schreinerstraße ausgesucht und sind da eingezogen, da wohnten auch noch Mieter drinnen. Wir haben mitbekommen, dass uns die Kommunale Wohnungsverwaltung, die KWV, klein gekocht hätte. Ich kann mich noch ganz gut an so eine Sitzung erinnern, in der die gesagt haben: „Ja, wir machen das jetzt so mit der Gestaltung der Frankfurter Allee Süd folgendermaßen: Wir reißen die Mainzer ab und renovieren die Kreuziger. Oder umgekehrt. Ressourcen für beide sind nicht mehr da.“ Das war der Punkt, an dem wir gesagt haben: „Hey, jetzt müssen wir aber Leute heranholen!“ und sind dann auch rüber zu unseren Kumpels, die in den Westen gegangen waren und haben gesagt, “Kommt in den Osten, da stehen die Häuser leer!“ In den ersten Maitagen wurde dann ganz viel besetzt. Als ich dann das erste Mal, Anfang Mai die besetzte Mainzer Straße gesehen habe, dachte ich: ‚Ja, so habe ich mir das vorgestellt.’

Besetzung Lottumstr.10a, in Prenzlauer Berg - 16. Jaanuar 1990Am 16. januar 1990 wurde das haus Lottumstr. 10a besetzt. Das Bandito Rosso ist bis heute (2012) eines der wichtigsten Treffpunkte der Linksradikalen Szene

 

Heinke: Ja ich kann dir da auch nur Recht geben. Ich glaube, die große Welle hatte auch was mit dem Wetter zutun. Also so ab Mai und April. Naja, es war wärmer. Also im Januar, das war schon ´ne andere Nummer. Und im späten Frühling: Da machte es nichts, wenn die Scheiben kaputt waren. Das ließ sich auch so aushalten, für die erste Zeit. Also ich meine, das Wetter spielte auch ´ne Rolle. Und wir waren zum Beispiel aus unserem Haus, fast alle aus dem LAI.

Dietmar: Was ist denn das LAI?

Heinke: Latein Amerika Institut. Also der erste Sprung kam aus dem Unistreik. Da gab es ein Potential an gemeinsamen Organisationen. Das war 1988.. Eine Gruppierung kam ja auch aus dem Uni Streik. Und dann zog eine Gruppe aus einer Fakultät eben in ein Haus und der Rest füllte sich dann nach und nach auf. Und bei uns war das total auffällig, dass das nur Wessis waren. Wir hatten dann damals da den Quoten-Ossi wohnen. Das war einer. Ich fand das total auffällig, dass es damals Häuser gab, wie die Lottum, wo klar war, die kommen alle aus dem Osten. Und dann Häuser wie unseres, wo fast alle aus dem Westen kamen. Es gab eben wenig Mischung.

Dietmar: Die Osthäuser waren dann ja auch recht schnell, provokant gesagt, in der Minderheit. Mit so einer Invasion hatte man ja, beim Schreiben des Aufrufs, gar nicht gerechnet. [GELÄCHTER]

Molti: Also wir waren total froh darüber.

Wolfram: Invasion, das ist ein Wort. Das hast du jetzt aus dem Zusammenhang der jüngeren Zeit. Davon haben wir damals nicht gesprochen. Das waren ja auch nicht so viele. Aber es waren so viele leere Häuser. Das ist einfach eine statistische Angelegenheit. Außerdem waren wir damals eigentlich alle relativ froh. Wir kochten nicht mehr im gleichen Saft. Weder im eigenem Saft der KVU noch sonst welcher Zusammenhänge.

linie206 30.04.2010Das ehemals besetzte Haus Linienstraße 206 in Berlin – Mitte am 30.04.2011

 

Michl: Wir sind ja auch vom Westen in den Osten gekommen. In meiner Erinnerung war ich damals in einer Bezugsgruppe, die Aktionen und Demos mit organisiert hat. Und zwar die Aktion gegen den Internationalen Währungsfond. „I-W-F – Mördertreff“ war der Slogan. Und da sind wir dann in den Osten gezogen. Und da haben wir alle gedacht, da gibt es jetzt bestimmt Integrationsprobleme. Aber das gab es eben nicht. Wir wurden sehr freundlich aufgenommen, speziell von der Lottumstraße, was dann auch unser Schwesternhaus war. „Empfangen“ kann man geradezu sagen. Da gab es Partys dann im Osthaus. Es gab ein Osthaus und wir waren das Westhaus. Bei uns waren nur Wessis, da waren nur Ossis. Aber wir kamen uns irgendwie willkommen vor.

Dietmar: Nachdem diese Besetzungen mehr oder weniger von statten gegangen sind, wie ist das dann gelaufen? Wie habt ihr euch organisiert? Wie habt ihr euch dort eingerichtet? Hatte jeder seine eigene Wohnung oder gab es da nur Schrott? Wie muss man sich denn das Wohnen in einem besetzten Haus vorstellen?

Michl: Wir hatten eigentlich relativ schnell das Problem, dass wir zu viele Leute waren. Wir mussten aufteilen und so ein bisschen organisieren, dass es politisch korrekt sei. Das jeder ein Raum zu Verfügung hat oder ob zwei in einem Raum leben können oder wie immer man das aufteilt. Das war von Anfang an so ein Problemchen. Wir haben uns dann nach vielen Diskussionen darauf verständigt: „Soviel Räume soviel Leute“ und mehr nicht.

Maja: Und was habt ihr mit den anderen Leuten gemacht, die zu viel waren?

Michl: Die haben wir erst gar nicht rein gelassen. Und wenn, dann nur so temporär.

Molti: Bei uns war das so, dass wir von vornherein gesagt haben, ein Erwachsener, ein Zimmer. Natürlich gab es auch Ausnahmen.

Heinke: In der Brunnen hatten wir das Glück, es war ein Riesenhaus. Viel Platz. Wir haben uns eher runtergeschrumpft. Wir haben mit 25 in einer Küche angefangen und dann gemerkt, das wir irgendwie zu viele sind, wir mussten in Schichten essen, weil sonst nicht jeder am Tisch sitzen konnte. Und dann sind wir von 25 auf 20 und dann noch ein bisschen weiter runter. Dann hatten wir eigentlich viel Platz. Wir hatten alle Modelle dabei, von „Ich will auf gar keinen Fall im eigenem Zimmer schlafen, ich will das teilen.“ bis zu „Mir ist das Zimmer zu klein, ich hau die Zwischenwand raus.“ Da gabs eigentlich alles.

Rüdiger: Ich wollt nochmal ergänzen, wir hatten am Anfang ja schon Diskussionen, ob kollektive Wohnräume, sprich gemeinsam schlafen. Wir hatten da schon sehr heftige Diskussionen. Und dieses „Eine Person, ein Raum“, das haben wir von Anfang an nicht so richtig durchgezogen. Wir haben halt schon zu zweit oder zu dritt, über einen längeren Zeitraum, gemeinsam in einem Zimmer gewohnt. Und das hat auch gut funktioniert. Und ich sag mal, „Eine Person, ein Raum“, das kam erst später. Das jeder eher diesen Freiraum brauchte und eigene Sachen braucht. Zum Anfang war das super gut, gemeinsam in einem Zimmer zu schlafen. Da war es scheiß egal, da war dieser Anspruch nicht da: „Ich brauch jetzt ein eigenes Zimmer!“.

Brunnenstarße 7.jpgEingang zum ehemals besetzten Haus Brunnenstraße 7 in Berlin Mitte

 

Heinke: Ich erinnere mich auch, dass wir uns viel weniger in den Räumen aufgehalten haben. Das war einfach nur zum schlafen. Da war sowieso viel zu tun. Miteinander zu tun. Ich erinnere mich nicht daran, dass es so etwas gab wie „Okay, ich mach mir jetzt mein Zimmer schick.“ Das war so etwas, was ganz hinten dran stand.

Michl: Bei uns waren ja nicht alle Zimmer bewohnbar. Wir hatten viele Zimmer, die Ruinen waren. Die konnten eh nicht genutzt werden. Insofern hat sich das alles verschoben.

Wolfram: Ich kann mich nicht erinnern, dass es überhaupt eine Diskussion gab. Es war klar, dass es Gemeinschaftsräume gibt. Da gab es gemeinsamen Kaffee. Und dann gab es die Gemeinschaftsküche. Aber ob darüber diskutiert wurde, ob man gemeinsam in einem Raum pennt, daran kann ich mich nicht erinnern. Weil, das entsprach nicht unserer Lebenswirklichkeit, weil ansonsten funktionierte es, wie jedes andere selbstverwaltete Projekt oder Objekt auch. Aber eine Diskussion darüber, ob jeder ein eigenes Zimmer haben darf, hat es nie gegeben. Und wenn das Haus voll war, war es voll. Punkt.

David: Ich habe mir immer nur Räume mit jemanden geteilt. Und zwar mit irgendwelchen „Herren“, mit denen ich keine Beziehung hatte. Wir waren ja viele Gruppen. Und dann kamen ja noch die Mainzer und die Uni-Leute. Das waren ganz verschiedene Zusammenhänge. Und das fand ich eigentlich das Grandiose. Innerhalb dieses Hauses, dieses Zusammenraufen, mit Leuten, die du gar nicht kanntest. Und überlegen, wie machen wir das denn jetzt. Hoch ambitioniert. Es gab sogar, glaube ich, Klotürendiskussionen, die, im Nachhinein, natürlich völlig absurd sind, aber sehr lustig waren. Immer mit diesem Ernst geführt worden sind. Wie weit kann ich gehen. Wie weit kann ich gehen, um das mal alles in die Luft zu jagen und zu gucken, wie will ich denn jetzt leben. Das fand ich grandios, weil es immer so gut geklappt hat.

Natalie: Wir hatten uns ja schon als Frauen abgegrenzt. Wir hatten oben unsere Frauenetage. Ernsthaft. Und da durften die Männer auch nicht aufs Klo gehen. Und das wars schon…Ich bin ja erst später rein, aber da war es schon so mit der Etage und dem Klo.

Wolfram: Aber das hat vielleicht auch mehr damit zu tun, dass dieser Unterschied deutlich wird. Das wir Häuser besetzt haben, aus einem politischen Interesse heraus oder um mehr Freiräume zu haben. Und ihr wolltet eine bürgerliche Gesellschaft überwinden, also das, was ihr von zu Haus kanntet.

Hausbesetzer auf einem Dach in der Kreutziger Straße, Berlin FriedrichsheinPolizisten auf einem Dach in der Kreutziger Straße, Berlin Friedrichshein“

 

Natalie: Nee! Wir wollten eine Frauenbewegung! Wir kamen ja auch aus einer politischen Bewegung heraus, aus Fraunenzusammenhängen. Oder aus der Antifa und da mit den ganzen Machos zutun zu haben und sich abgrenzen zu müssen. Ich kam eher aus der Antifa und musste mich mit diesen ganzen Cowboys rumschlagen. Und daher kamen wir. Das war nicht aus so einer bürgerlichen Perspektive! Das war schon so, sehr politisch!

Dietmar: Vielleicht kann man doch sagen, dass sich Ost und West schon unterschieden hatten? Dass die Linken aus dem Osten einen ganz anderen Background hatten, dass die Geschlechtertrennungsdiskussionen, die in den 80er Jahren in der Autonomen Linken im Westen total abgegangen sind, für uns im Osten gar kein Thema waren? In der Lottumstraße 10A war immer alles gemischt. Da gab es kein Frauenklo und Männerklo. Bis auf einmal: Da gab es diese Diskussion, als ein Wessipaar aus der Kastanie bei uns eingezogen ist. Und die fingen sofort an, Diskussionen anzuzetteln. Von wegen, „hundefreie Etagen“, „Frauenklo“, „Veganerkühlschrank“. Ja, so was. Das Ding war aber ganz schnell durch. Die sind nach einem halben Jahr wieder ausgezogen. [GELÄCHTER]

Natalie: Aber das war auf jeden Fall so eine Kopfgeburt. Ich weiß noch, als wir mit euch diese Hiddenseefahrt gemacht haben. Wie locker ihr wart und wir so total verklemmt. Und ihr so nackt.
Und also auch total das Klischee. Auch am Strand. Und wir, trotz Frauenbewegung: „Uh, die ziehen sich ja alle aus.“ [ALLGEMEINES GEWUSEL und GELÄCHTER]

Wolfram: Aber das ist das, was Dietmar meint.

Natalie: Genau.

Heinke: Für uns war die Geschlechtertrennung eigentlich von Anfang an da, weil wir ein ganzes Frauen/Lesbenhaus im Komplex hatten. Wir hatten ja mehrere Aufgänge. Und das ist jetzt immer noch da. Andere WG`s haben sich erst später in Frauen- und Männer-Gruppen getrennt. Wir haben ja zum Beispiel Leute aus geräumten Häusern aufgenommen, zum Beispiel der Lübbener und die kamen gemischt zu uns. Das dauerte ein Jahr und dann haben sie sich total gestritten und wollten unbedingt eine Küchen- und WG-Trennung machen, also Frauen und Männer getrennt. Jetzt haben wir Gemischte Gruppen und Frauengruppen bei uns wohnen.

Die besetzten Häuser in der Mainzer Strasse - Sommer 1990Die besetzten Häuser in der Mainzer Strasse, Berlin Friedrichshein – Sommer 1990

 

Michl: Bei uns war das eher andersrum. Was mich schwer irritiert. Bei uns gab´s das gar nicht und wir haben uns eigentlich gut verstanden. Es gab gar nicht die Differenzen, dass man etwas hätte aufteilen müssen. Man hat es dann aber irgendwie doch gemacht. Was mir nicht gepasst hat, als Mann. [GELÄCHTER] Was natürlich gar nicht geht. Weil …

Rüdiger: Da haste dich diskriminiert gefühlt?

Michl: Total. Da hab ich in ein Wespennest gestochen. [GELÄCHTER]

Wolfram: Du hast nicht begriffen, dass du strukturell der Herrscher bist. [LAUTES GELÄCHTER und DURCHEINANDER]

Michl: Ich bin jedenfalls von einem Fettnapf in den nächsten getreten.

Maia: Von einem Fettnapf in den nächsten?

Michl: Na ja, weil ich als Mann im Grunde dafür gewesen bin, dass man die Frauenetage auflöst.
[GELÄCHTER] Was schwierig ist.

 

 

HausbesetzerdemoHausbesetzerdemo
 

Andrej: Bei uns war das anders. Was ein gutes Beispiel dafür ist, dass die Westhäuser nicht alle gleich waren. Wir waren eine ziemlich junge Gruppe, die ins Hinterhaus gezogen ist. Und das Vorderhaus wurde dann ziemlich schnell von Westlern angeeignet, die dann im Prinzip ihre WG dort gegründet haben. Das waren zum Teil Leute gewesen, die vorher in der Westberliner Marchstraße gewohnt haben und diesen Räumungsstreik miterlebt haben, wo die sich alle gegenseitig rausgeschmissen haben. Und die wollten tatsächlich nicht mehr in einer großen Gruppe wohnen. Und das war dann so ganz typisch: Die Westberliner WG´s im Vorderhaus und die Ostberliner im völlig rotten Hinterhaus. Und bei dem Vernetzungstreffen der Besetzten Häuser haben wir dann gemerkt, dass wir in unserem Hinterhaus die einzige Hausbesetzergruppe in Mitte waren, die ausschließlich aus Ostdeutschen bestand. In Prenzlauer Berg war das anders, da fand man ja schnell Gruppen, z.B. in der Lottum, die auch große Ostgruppen waren. Aber das war bei uns eigentlich am Anfang der zentrale Konflikt, ob Frauen und Männer gemischt spielte nicht so ´ne große Rolle, wie das Merkwürdigfinden, dass da Leute sich Hausbesetzer nannten, die aber Sachen gemacht haben, die wir damit gar nicht in Verbindung brachten. So etwas, wie diese sozialen WG’s: Sofort nach dem Einzug ´ne eigene Küche und Schloss vor die Tür, dann aber nicht zum Hausplenum erscheinen, wenn besprochen wurde, die Haustür vor gefürchteten Naziüberfällen zu verbunkern.

Dietmar: Es ging, zumindestens bei euch und ich glaube auch in den anderen Häusern, darum, kollektive Strukturen zu schaffen. Privateigentum an Wohnraum ist in diesen Projekten gar nicht angesehen gewesen? Und wenn dann nur sehr reduziert? Oder sehe ich das falsch? Also Großraum WG’s mit Gemeinschaftsküche, Gemeinschaftsbad und wenn überhaupt, einen Fernseher für alle. War das generell so? Ich kann zum Beispiel sagen, dass es bei uns in der Lottum 10A um kollektives Wohnen ging. Aber im Hinterhaus, das auch besetzt wurde, die sich auch an den Verhandlungen beteiligt haben, bei denen hatte von Anfang an jeder seine eigene Wohnung, also da ging es eher um Privatisierung. Und in unseren Nachbarhäusern, also Lottum 8, 9, 10, 26, war das genauso. Die haben zwar auch Haus-Plena gehabt, aber da ging es eher um Organisatorisches. Ansonsten hatte da jeder seine eigene Wohnung. Aber bei euch war das anders? Ihr wolltet da ganz klar eine neue Form von Leben schaffen?

HausbesetzerdemoHausbesetzerdemo
 

Molti: Bei uns war das 50:50. Es gab 1-Raum-Wohnungen und es gab 3-Raum-Wohnungen. Insgesamt vier auf einer Etage. Die 1-Raum-Wohnungen wurden relativ schnell zu separaten Wohnungen mit einer Küche. Dort wohnten dann vielleicht zwei Leute und das war dann ihr Refugium. Aber es war nicht privat. So eine gleiche Struktur gab es auch im Hinterhaus. Es gab nie einer Trennung zwischen Vorderhaus und Hinterhaus, in dem es nur 1-Raum-Wohnungen gab. Und die Leute wechselten dann immer. Wir hatten insgesamt 4 oder 5 Küchen. Und wer dann mal mit irgend jemanden nicht mehr konnte, wechselte dann die Küche und aß woanders weiter, also: „Bäumchen wechsel dich“. Es hat aber funktioniert. Es wurde beides toleriert, separate Küche und Küche mit mehreren Leuten zusammen. Es gab bei uns auch sehr lange einen Gemeinschaftsraum, der frei gehalten wurde, bis wir die Verträge bekommen haben.

David: Diese ganzen Raumdiskussionen. Ich hab das dann eher wegen den Leuten gemacht, wie dann da alles rumgeschoben wurde, mit der Großküche oder sonst was. Ich fand das eigentlich immer alles relativ egal, uninteressant im Vergleich zu anderem. Ich habe vorher schon mal in so einem Haus gewohnt, in Westdeutschland, allerdings nur mit Kerlen. Da ging es ein bisschen anders zu, mit unpolitischen Männern. Sich noch einmal darauf einzulassen, mit solch einer großen Gruppe zu leben, was wir bis heute eigentlich ganz gut hin bekommen haben, alle. Ohne das wir noch zusammen leben, ist das Netzwerk noch da und das zeigt für mich einfach, dass wir das sehr gut hin bekommen haben.
Natalie: Aber ich finde auch, dass wir weniger Probleme hatten, als um uns herum noch soviel los war. Der ganze politische Umbruch, Wiedervereinigung und das Kennenlernen vom Osten. Und dann, als es ruhiger wurde, also nach 3 oder 4 Jahren, ging es innerlich mehr ab.

Vertragsverhandlungen am Runden Tisch Prenzlauer Berg 1991
Vertragsverhandlungen am Runden Tisch Prenzlauer Berg – 1991

 

Rüdiger: Das finde ich auch. Am Anfang ging es schon um Gedanken wie Kollektiv zu leben, Gemeinschaftsküche, Zusammenwohnen usw. Also nicht vom Kopf her, so wenig Eigentum wie möglich, das hat eigentlich gar nicht interessiert. Man wollte halt zusammen kochen. Und als die Bedrohung von außen abgenommen hat, als wir dann alle z.B. Verträge hatten, hat sich das ganz klar auf das Zusammenleben ausgeprägt. Man hat dann überlegt, welchen Job, was will ich haben? Da ist dann jeder eher seinen Weg gegangen.

Andrej: Wie lange war das?

Rüdiger: Ich weiß nicht, wir sind 1990 rein und die ersten 3 Jahre waren absolut prägend. 93/94, da war ich ja dann raus, aber da gab es dann die Überlegung, die Großküche abzuschaffen und jeder eine eigene Küche. Und als ich dann wieder eingezogen bin, haben sich die WG’s gesucht und gefunden. Wer passt noch zusammen, da gab es dann schon so innerliche Konflikte und Kämpfe.

Andrej: Nach 2 Jahren, fing das auch bei uns an zu bröckeln. Und ich glaube, das lag daran, dass in Zeiten des Ausnahmezustandes die Kollektivität sehr gut geklappt hat. Das Haus besetzen, das Ding bewohnbar machen. Dann haben wir irgendwann die Gewerberäume unten in eine Kneipe, das KDW, umgebaut. Da mussten wir auch viel Arbeit rein stecken und viele lange Debatten führen. Soll das jetzt eigentlich eine Kneipe oder ein Infoladen werden. Den Infoladen brauchte aber irgendwie niemand und dann ist es doch eher so eine Art Veranstaltungsraum geworden. Und das hat so 2 Jahre gedauert und dann sind wir eigentlich in eine Art Loch gefallen, weil es nichts gab, was man so unbedingt machen musste. Es gab halt schon Routine: Wer macht abends den Thekendienst? Oder: Samstag ist schon wieder Konzert von irgendeiner Punk Band aus dem Nirgendwo, muss ich da an der Theke stehen oder den Einlass machen? Das heißt, dass aus den Perspektiven auch schon wieder so eine Art Privatisierung einsetzte und die war auch damit verbunden, dass manche meinten, lass uns mal wieder die Wohnungen tauschen oder, ich will lieber mit dem und dem zusammen wohnen. Wir hatten halt nur so Durchgangszimmer und da war es dann halbwegs sinnvoll zu sagen, da sollen nur zwei Leute, die sich halbwegs vertragen, hintereinander wohnen. Das spielte aber vorher alles keine Rolle. Das setzte erst ein, als die großen Sachen, die man zusammen machen musste, beendet waren. Ich glaub, das war bei euch so ähnlich.

Fehrbelliner Straße im Jahr 2011StreetArt an einer Hausfassade in der Fehrbelliner Straße, Berlin – Mitte im Jahr 2011

 

Molti: Bei uns war es so gewesen, dass wir uns schon alle vorher kannten. Für uns war klar, wir werden jetzt hier kein Kampfhaus. Wir stellen uns jetzt nicht in die Häuserfront ganz vorne hin, weil wir immer wussten, dass Wohnen weitaus mehr als „gemeinsam kämpfen“ ist. Deswegen standen wir immer einen Schritt zurück. Wir haben halt nicht alles mitgemacht. Wir haben nicht alle Kampagnen, die der Besetzer-Rat beschlossen hat, und die andere Häuser vertreten haben, mitgemacht, weil wir meinten, dass das unsere Struktur belastet. Und deswegen ist bei uns, als diese ganzen Kampagnen zu Ende waren, also die hohe Zeit der Hausbesetzer, oder als Silvio von Nazis umgebracht wurde, was für uns zusätzlich ein tiefer Einschnitt war, dann nicht alles bei uns zusammengebrochen.

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vor 7 Jahren