Die Strukturen in den Häusern waren viel wichtiger, als das Haus an sich.

Gesprächsrunde über die Ostberliner Hausbesetzerbewegung in den 1990er Jahren – Teil 3

Andrej: Ich habe aber den Eindruck, dass dann ab ’91 im Prinzip diese Verhandlungsrunde, in Mitte, einen größeren Einfluss hatte, als der B-Rat selber. Da haben die Treffen sehr unregelmäßig stattgefunden. Und das der Runde Tisch, an dem ja auch 30 oder 40 Leute hockten den B-Rat irgendwie ersetzt hatte. Wolfram war ja der Moderator. Was ich bis heute auch ziemlich lustig finde, dass Wolfram Kempe der Leiter des B-Rats geeignet war zwischen Hausbesetzer und Senat bzw. Bezirk zu moderieren. Und ich habe das aber als eine ziemlich undurchsichtige Sache in Erinnerung. Wie wir da zu Entscheidungen gekommen sind. Wer weiß, ob die tatsächlich in einem ganz großen Gremium beschlossen wurden, oder dass es da einen Vorschlag gab, und wir alle meinten, wir reden darüber zu Hause mal.

Hausbesetzer 1990er Jahre Ostberlin29. August 1990, Niederbarnimstr. 22, Stadtbezirk Berlin-Friedrichshein: Versuchte Räumung des besetzten Hinterhauses durch die Volkspolizei. Anwesend sind Stadtbezirksbürgermeister Helios Mendiburo, Stadbezirksrat – Bauen und Wohnen Gerd Hannemann.
Quelle: Archiv Zeitschrift telegraph,
Fotograf: Gerald Zörner 

 

Wolfram: Man muss ja genau sehen, wann was stattgefunden hat. In Prenzlauer Berg hat die Bildung eines B-Rates innerhalb von 14 Tagen stattgefunden. In Mitte gab es auch einen B-Rat, aber Verhandlungen mit dem Bezirksamt gab es erst ab Januar oder Februar des folgenden Jahres. Dem Modell, was es in Prenzlauer Berg gab, standen alle ziemlich skeptisch gegenüber. Das Problem war das wir im Niemandsland verhandelten. Denn der Senat zerbrach über der Mainzer Straße. Das war im Januar. Und als der sich neu konstituierte, hatten wir die Verträge fertig. Da hat sich keiner von der Senatsebene eingemischt. Je länger es sich dann hinzog, umso schwerer wurde es. Eigentlich sollte ich gar nicht Moderator sein, sondern Berater des B-Rates am Runden Tisch. Eigentlich sollte das der Pfarrer Passauer werden. Der hatte aber keine Lust. Aber formell war er immer Co-Moderator. Aber der war ja nie da. Und der B-Rat hat einen Vermittler gewählt und die Verwaltung hat einen Vermittler gewählt. Weil das waren die, die da eigentlich entschieden haben. Das waren ja eigentlich nur 3 Parteien. Die anderen saßen da ja nur rum. Ja und so hat sich das ergeben. Ich kann mich auch daran erinnern, das war sehr knapp in Mitte, dass das überhaupt irgendwie funktionierte. Ich kann mich auch an die Besetzung des Bürgeramtes erinnern und solche Sachen. Weil die Drohung, die wir aufmachten, also die Erzwingung der Verhandlungsbereitschaft, das war ein großer Bluff. Also den Bezirken zu sagen wollt ihr noch mal etwas haben, wie in der Mainzer Straße?

Sascha: Und sie hatten Schweine Angst davor.

Wolfram: Genau. Und wir wussten, wir kriegen das gar nicht mehr so hin und hatten dann keine Lust. Und das war der Bluff.

Dietmar:Kann man dann vielleicht noch mal kurz sagen, was der Inhalt der Verhandlung war. Worum ging es eigentlich? Was wurde denn verhandelt.

Sascha: Es gab ja zunächst einen Besetzer-Rat und dann gab es das Verhandlungsgremium. Und das Verhandlungsgremium wurde bevollmächtigt. So, und der hat sich dann ziemlich schnell als nicht funktionstüchtig erwiesen, und die Verhandlungsgruppe hat dann später unabhängig voneinander agiert. Also der Rat hat weiter gemacht.

Hausbesetzer 1990er Jahre OstberlinSommer 1990 – HausbesetzerInnen-Demonstration Schönhauser Allee, Stadtbezirk Berlin – Prenzlauer Berg.
Quelle: Archiv Zeitschrift telegraph,

Wolfram: Es hakte sich fest an einer Frage. Und die eine Frage bestand darin, dass der Magistrat sagte, es müssen Einzelmietverträge abgeschlossen werden. Und das wollte eigentlich niemand. Und da war eigentlich Schluss. Weil da wurde man sich nicht einig. Auch innerhalb des B-Rates nicht. Und dann war eigentlich Schluss. Und Schluss war im September. Und dann gab es keine Verhandlungen mehr. Als wir im Prenzlauer Berg separat wieder anfingen, um eine Lösung zu finden, war das auch immer die Frage. Mit diesem ganz komischen Vertragskonstrukt, dass zunächst einmal die Hausvereine einen Vertrag mit der Wohnungsbaugesellschaft machten, in dem diese einzelnen Mietverträge dann eingebettet wurden. Das war damals der mehrheitsfähige Weg. Und so sind wir dann letztendlich zu diesen Einzelmietverträgen gekommen. Darüber konnte man sich dann streiten, ob dieser Weg es dann wert war. Das ist ja dann noch eine andere Frage.

Andrej: Weißt du noch, wer auf die Idee gekommen ist? Also dieses juristische Konstrukt?

Wolfram: Ich glaube wir, oder unsere Rechtsberater. Wir haben uns ja dann Hilfe besorgt. Wir hatten dann mehrere Anwälte, die saßen ja immer hinter uns beim Runden Tisch. Wir haben uns Hilfe besorgt, bei Werner Orlowski aus Kreuzberg. Dieser Rahmenvertrag wurde paraphiert, wurde ratifiziert. Das hatte schon sehr komische Auswüchse am Ende, aber das hat funktioniert. Der Trick dabei war, das waren Ostmietverträge, die die Hausbesetzer dann ’91 bekommen haben.

Molti: Die Möglichkeit eines Rahmenmietvertrags konnten nicht alle nutzen, weil nach der Räumung der Mainzer Straße eine neue Situation gegeben war. In Friedrichshain haben sich dann viele, nicht nur die Besetzer sondern auch die Bezirksverordnetenversammlung, auf schnelle Einzel- Mietverträge orientiert. Wegen der Räumung der Mainzer. Weil das ein Schock gewesen ist. Da standen alle erheblich unter Druck und waren mit dieser Art der Konfliktbewältigung nicht einverstanden. Der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain Mendiburo stand als absolute Napfsülze da. Zum einen war er in der falschen Partei, der Räumungs-Partei SPD, zum anderen war er eigentlich nicht für die Räumung. Ihm war da eine Senatskiste rein gedrückt worden. Und da hat er gesagt: „Na gut, dann ziehen wir das ganz schnell durch hier.“ Und dann wurden eben reihenweise diese Einzelmietverträge gemacht. Also nicht wir, weil wir eben schon restituiert waren. Als wir dann später Verträge gemacht haben, hat unser Anwalt gesagt, macht um Gottes Willen Einzelverträge. Weil Rahmenmietverträge halten nicht. Und dann haben wir das auch so gemacht. Das war nur so eine Präambel als Rahmenvertrag, aber eigentlich waren das Einzelverträge, die einen besseren Bestand haben. Das war dann aber erst ’97. Noch einmal drei Welten danach.

Hausbesetzer 1990er Jahre Ostberlin

Frühjahr 1990, Besetzes Haus in der Adalbertstraße, Stadtbezirk Berlin-Mitte.
Quelle: Archiv BesetzerInnenZeitung. 
 

Dietmar: Man muss auch bedenken, dass an dieser Mainzer Straße der Senat zusammengekracht ist. Das die Sozen ja diese Räumung durchgezogen haben, und die Grünen sich eigentlich dagegen gestellt haben. Und diese Räumung mitbenutzt haben, um aus dieser Regierung raus zukommen.

Wolfram: Ich behaupte nach wie vor, dass man nicht weiß, wer diese Räumung wollte. Es hat ja Gespräche gegeben. Und ich habe 3 oder 4 Jahre später mit dem ehemaligen Innensenator Petzold geredet, der ja immer noch behauptet, er habe das nicht angeordnet. Und es ist dann lange durch die Stadt gewabert und wabert auch noch heute, dass es ein Putsch der Polizei gegen den SPD Innensenator gewesen ist. Das sind alles Mutmaßungen, denn man kriegt es nicht mehr raus.

Molti: Bürgermeister Momper war nicht gut gelitten bei diesen Autonomen im Westen. Als das Kreuzberg Museum eingeweiht wurde, war Momper dabei. Er hat einen Stein an den Kopf gekriegt, und das hat er sich wahrscheinlich bis heute gemerkt. Das sehe ich als einen Grund für Mompers harten Kurs gegen Hausbesetzer. Er war auch kein guter Politiker. Mit dem ist bis heute nicht viel los.

Dietmar: Dieses Verhandlungsgremium hat plötzlich im Sommer um Legalisierung verhandelt. Das heißt, da werden 120 Häuser besetzt von unterschiedlichsten Leute, die meinen, sie wollen andere Lebensformen schaffen. Die schaffen sich Gremien und fangen an mit den Herrschenden um Legalisierung, um Normalisierungsformen zu verhandeln. Ist das nicht widersinnig?

David: Ich halte das ja für einen völlig normalen Ablauf. Du bewegst dich eine Zeit lang darin. Es gefällt dir, oder wie auch immer, und dann willst du es. Und dann kommt die einschneidende Erfahrung, dass ein ganzer Straßenzug platt gemacht wird.

Dietmar: Aber wir meinen davor. Das fing ja schon Sommer ’90 an.

David: Da geht es ja auch um verschiedene Inhalte. Dieser Rat hat sich auch erst einmal lange Zeit um sich selbst gedreht. Und da war die Frage, wie verbreiten wir uns jetzt? Wie schaffen wir hier alles. Da ging es ja noch gar nicht darum, wie schaffen wir denn jetzt unsere Schäfchen-Verträge? Es ging ja auch eine ganze Weile um das große Ganze am Anfang.

Hausbesetzer 1990er Jahre OstberlinFebruar 1990, besetztes Haus in der Schönhauser Allee 20, Stadtbezirk Berlin-Prenzlauer Berg.
Quelle: Archiv Zeitschrift telegraph,
Fotograf: Peter Homann 

 

Sascha: ’90 war ja die Blaupause Westberlin (Hausbesetzerbewegung in den 1980er Jahren.) noch sehr präsent. Also als Modell, wo es auf Räumung oder Legalisierung hinauslaufen wird. Und das haben alle gewusst, das du nicht ewig Hausbesetzer sein wirst. Das war allen Beteiligten klar. Aber das war dann auch schon das einzige, was alle Leute geteilt haben. Sonst gab es im Besetzer-Rat ein Spektrum. Auf der einen Seite politische Besetzer, die dann eher wenig Affinität zum Verhandeln hatten. Und auf der anderen Seite Leute, die einfach billig an ihren Wohnraum kommen wollten. Die dann auch einfach zweigleisig gefahren sind. Das war auch ein großes Problem gewesen, dass viele Häuser hinten raus, noch einmal anders verhandelt haben. Einmal auf den Besetzer-Rat und auf der anderen Seite auf ihre Privatverhandlungen gesetzt haben.

Andrej: Ich glaube auch, dass zumindest für die Ostberliner der Mythos des Besetzens nicht so stark ausgeprägt war. Dass das ein relativ normaler Weg war, einen Mietvertrag zu bekommen. Bevor wir in die Neue Schönhauser gezogen sind im Sommer oder Herbst ’89, sind wir erst mal durch Prenzlauer Berg und Mitte gezogen und hatten Häuser gesucht. Dann waren so viele Häuser leer, dass man gleich noch ein paar Freunde einladen konnte. Der Mythos, dass wir irgendwie das Privateigentum außer Kraft setzen und revolutionäre Vorhut für irgendwas sind, dass spielte in dem Moment keine Rolle.

Sascha: Aber speziell Gruppen, die aus Westberlin gekommen sind, haben es von sich behauptet und haben es ja darauf angelegt, irgendwann geräumt zu werden. Das war für die total klar. Es wird nicht verhandelt, wir werden geräumt. Und auf der anderen Seite hast du dann Leute gehabt, für die war von vornherein die Legalisierung der einzige Ausgang.

Hausbesetzer 1990er Jahre Ostberlin

November 1990, Besetzung des Rates der Stadt Ostberlin, nach der Räumung der Mainzer Straße.
Quelle: Archiv Zeitschrift telegraph,
Fotograf: Kai Grehn
 

Rüdiger: Die Diskussion hatten wir auch ganz massiv. Weil wir hatten Leute, die haben ganz klar gesagt, wir werden uns verteidigen. Keine Verträge, keine Verhandlungen. Wir hatten sogar die Diskussion, einen Tunnel zu bauen zum Friedhof und zu sagen, wenn die uns räumen, dann liefern wir denen noch einmal ne richtige Schlacht und dann verpissen wir uns. Aber wir wollen nicht verhandeln. Und dann hat der Teil gesiegt, der gesagt hat, okay, wir lassen mit uns verhandeln.

Molti: Weil die zu faul waren, einen Tunnel zu graben.

David: Aber das war kein Scherz. Das war eine durchaus mit Wärme und Ernst geführte Diskussion. Und auch dieses komplette Unverständnis auf der anderen Seite, das hat man auch gehabt. Was erzählen die denn jetzt da, was soll denn das? Und auf der anderen Seite dann wieder, was sind das für Flachzangen. Die wollen jetzt ihre Wohnung klar machen, und wir machen hier Revolution. Das hat sehr viel Zeit am Anfang gekostet. Ich konnte das gar nicht glauben.

Sascha: Das ist richtig eskaliert. Bösartig eskaliert. Zwischen den Verhandlern und den Nichtverhandlern.

Rüdiger: Spalter! Verräter!

Wolfram: Ich glaube das war der 24. oder 26 Juni 1990. Von diesem Tage an würde auch in Ostberlin die Berliner Linie gelten. Und alle Häuser, die vorher besetzt waren, werden geduldet. Das war der äußere Rahmen, um überhaupt in Verhandlungen zu kommen. Ich kann mich deswegen so genau daran erinnern, weil ich damit zu tun gehabt hatte. Die B-Rat. Wegen der Besetzung der Kastanienallee 77, die dann ein Jahr später stattfand. Und vor allem wegen der Besetzung der Cotheniusstraße, die 3 Tage oder 5 Tage nach diesem Datum stattgefunden hatte. Die Häuser in Prenzlauer Berg, die danach besetzt waren, wurden nicht mehr geräumt. Das ist irgendwie so abgewogen worden und zwar mit Hilfe der Bezirkspolitik. Woanders ist geräumt worden.

Rüdiger: Mitte, Oranienburger Straße wurde zwei Tage später geräumt.

Dietmar: Und das quasi noch zu DDR-Zeiten.

Hausbesetzer 1990er Jahre OstberlinJuli 1990, Stadtbezirk – Berlin-Mitte, Blick auf das Besetzte Haus Köpenicker Straße (Köpi).
Quelle: Archiv Zeitschrift telegraph,
Fotograf: Gerald Zörner 
 

Andrej: Du hast das so in Erinnerung, dass das die Verhandlungsgrundlage war?

Wolfram: Es öffnete den Raum für Verhandlungen.

Andrej: Ja ja, mit dem Magistratsbeschluss. Und vor allem die Duldung der bis dahin besetzten Häuser. Aber damals haben wir das extrem anders diskutiert. Wir haben gesagt, die Schweine wollen uns das Besetzen in Zukunft verbieten. Und die Cotheniusstraße. Da war ja auch diese Demo. Und dann zu sagen, wir setzen jetzt hier diese Linie und gucken, ob wir damit durchkommen. Und das hat ja nicht geklappt. Man hätte das damals ja auch schon als Erfolg sehen können, dass die diese 120/130 Häuser als besetzt akzeptieren. Aber ich meine, wir empfanden das ja als totale Zumutung.

Molti: Das wäre auf jeden Fall eine Frage. Wer hat das rein gebracht, die Berliner Linie? Daran ist das ja zerbrochen. Da gab es den Konflikt Cotheniusstraße. Und dann haben sich die Leute in der Mainzer Straße erwartungsgemäß darüber aufgeregt und diese Straßensperre aufgebaut. Damit ging das ja los. Das wurde vorher mal in einem Brief beschrieben, wenn ich mich recht entsinne. „Räumt nicht, sonst gibt es großen Ärger.“ Also das wurde auch schon vorher gesehen.

Hausbesetzer 1990er Jahre Ostberlin

Januar 2012 – Dieses Haus stand früher in einem anderen Land. Für die Luxussanierung entmietetes Haus in der Brunnenstraße, Stadtbezirk Berlin-Mitte.
Quelle: Archiv Zeitschrift telegraph,
Fotograf: AG T.u.s.T.
 
 

Dietmar: Was war denn der Inhalt der Verhandlung nach der Mainzer Straße. Also bei dieser bezirkseigenen Verhandlung, worum ging es da?

Wolfram: Den Rahmen zu finden. Die erste Voraussetzung war, dass die Häuser Hausvereine bildeten und damit zu juristischen Personen wurden, mit denen überhaupt Sachen beschlossen werden konnten. Damit fing das an. Dann wurden diese Mantelverträge verhandelt, und dann ging es um Einzelmietverträge.

David: Ganz schnell. Nach dem dieses Konstrukt gefunden worden ist, dass aus diesen Vereinen ein Verhandlungs-Partner gemacht wurde. Das hat ja funktioniert. Und danach war die bizarre Veranstaltung, dass man zum Beispiel in unserem Haus in nicht mehr funktionalen Räumen gewohnt hat. Also so genannte Wohnungen. Das wurde dann über den Daumen gepeilt. Man hat das und das, und das und das bildet eine Wohnungseinheit, und irgendwer unterschreibt das dann. Das war dann eigentlich nur noch so eine formelle Sache.

Sascha: Was wir sofort gemacht haben, war die Miete auf Null zu senken. Mietminderung um 100%. Damit waren wir quasi legalisierte Besetzer. Damit waren wir eigentlich in einer perfekten Situation.

Dietmar: Es gab doch schon Unterschiede. Auch zwischen den Verträgen in Prenzlauer Berg und Mitte. Ich glaube, es gab zum Beispiel den Unterschied über die zeitliche Dauer. Befristet oder unbefristet.

David: Wir hatten unbefristete. Also die sind ja jetzt noch existent. Das sind ja noch die selben.

Dietmar: Und wie lief es dann in Friedrichshain. Nach der Räumung der Mainzer Straße?

Molti: Die Verträge wurden einzeln abgeschlossen, relativ schnell. Wir haben unsere Verträge sehr viel später bekommen, erst 1997. Und so lange waren wir auch Besetzer. Es gab dann eine Genossenschaft, die sich gegründet hat, in die wir dann ursprünglich auch eintreten wollten. Das hat dann aber aus verschiedenen Gründen nicht geklappt.

Dietmar: Eigentlich war dann ab diesem Zeitpunkt die Hausbesetzer-Zeit zu Ende? Und die Strukturen? Räte, Stadtbezirksräte? Ging das dann weiter? Gab es da Treffen?

Sascha: Für mich war das ja erst mal ein kulturelles Phänomen. Das ging ja weiter.

Hausbesetzer 1990er Jahre Ostberlin4. August 1990, HausbesetzerInnen-Demonstration, Frankfurter Tor, Stadtbezirk Berlin-Friedrichshein.
Quelle: Archiv Zeitschrift telegraph,
Fotograf: AG T.u.s.T.

 

Molti: Bei uns ist das auch eine kulturelle Geschichte. Bei uns in Friedrichshain, ist das ein ganz normales, na ja, was heißt normal, ein Phänomen, dass es besetzte Häuser gibt. Leute, die aus dieser Tradition kommen. Und die sind inzwischen auch etabliert. Wenn es irgendwo bei uns ein Ereignis mit Politik, Kultur oder so etwas gibt, dann stellt man sich ganz normal vor: „Wir kommen aus dem und dem Haus“. und das verbindet immer noch. Dazu kommen dann immer noch die persönlichen Verbindungen.

David: Es lösen sich natürlich diese Strukturen auf. Die Räte, Mietverträge lösen sich natürlich auf. Wenn du welche hast, dann brauchst du das natürlich nicht mehr. Und die Leute, die ihr Haus bis auf´s Messer verteidigen wollten, die können es natürlich in dem Moment auch nicht mehr machen, die müssen sich dann auch etwas anderes suchen. Also dafür war die Institution nicht mehr brauchbar. Es hat keinen Sinn mehr gemacht.

Hausbesetzer 1990er Jahre Ostberlin
4. August 1990, HausbesetzerInnen-Demonstration, Frankfurter Tor, Stadtbezirk Berlin-Friedrichshein. Quelle: Archiv Zeitschrift telegraph,
Fotograf: Gerald Zörner 

 

Sascha: Ich habe neulich auf einem Geburtstag eine junge Frau kennengelernt, die gerade in die Lottumstraße eingezogen war. In die 10A. Und die war total begeistert, jetzt in einem besetzten Haus zu wohnen. Ob du da auf Miete wohnst, ist völlig egal. Sie wohnt jetzt in einem besetzten Haus. Das war ihr Ding.

Wolfram: Ersten ist der Status von einer Bewegung nicht von den Strukturen abhängig. Wenn das ursprüngliche Selbstverständnis stimmte, hätten irgendwelche Verträge, daran nichts ändern können. Die Administration ist immer damit klingeln gegangen, es gibt keine besetzten Häuser mehr in Prenzlauer Berg. Und beide Seiten haben sich damit arrangiert. Die einen haben gesagt, klar wir wohnen in einem, und die anderen, nein, es gibt keine mehr. Und die haben dann auch öffentlich an einander vorbei geredet, aber gut. Das hat doch sozusagen daran nichts geändert. Es hat doch auch in den Häusern nichts geändert, dass jetzt diese Papiere da waren. Jedenfalls nach meiner Wahrnehmung. In meiner Erinnerung spielte das keine Rolle. Was eher eine Rolle spielte, ist das, worüber wir auch schon vorhin gesprochen haben. Was dann auch zur Auflösung von Gruppen führte oder zum Generationswechsel, waren die Mühen des Alltags. Das war viel komplizierter, als einen Vertrag zu haben oder keinen zu haben.

Sascha: Das glaube ich auch, dass die Binnenstruktur, die Strukturen in den Häusern, viel wichtiger waren als das Haus an sich. Und das die Häuser letztendlich zu Grunde gegangen sind, an den Leuten und nicht an irgendwelchen äußeren Bedingungen.

Dietmar: Das heißt, die Hausbesetzer-Bewegung gibt es in dem Sinne nicht mehr.

Sascha: Ich habe das damals so erlebt, dass die Gruppen in den Häusern an sich selbst gescheitert sind und nicht an irgendwelchen rechtlichen Bedingungen.

Hausbesetzer 1990er Jahre Ostberlin4. August 1990, HausbesetzerInnen-Demonstration, Frankfurter Tor, Stadtbezirk Berlin-Friedrichshein.
Quelle: Archiv Zeitschrift telegraph,
Fotograf: Sergej Glanze 
 

Dietmar: Aber meine Frage war ja eigentlich gewesen, jetzt 20 Jahre später, was ist eigentlich davon übrig geblieben? Was ist davon nachhaltig geblieben?

Sascha: Mein Haus gibt es immer noch. Und da leben so 15 Leute in gemeinschaftlichen Strukturen zusammen. Mit Gemeinschaftsküche und so. Das sehe ich als Erfolg.

Dietmar: Also Freiräume konnten gesichert werden? Bis heute?

Sascha: JA! Es sieht von außen genau so aus, wie damals, als wir es verlassen haben. Es ist eine linke Szene drinnen, die sehr aktiv ist. Da passiert was. Sie müssen nicht damit rechnen, geräumt zu werden. Ich bin ja nicht auf einmal Hausbesetzer gewesen und sonst nichts anderes. Das ist ein Spektrum gewesen. Von diesen ganzen Unizusammenhängen und Autonomen Winks und sonst was. Alles zusammengewürfelt, von Gruppen, die es da damals gab. Du bist das dann ja nicht zu 100 %. Das ist ja nicht eine abgeschlossene Sache. Und wenn du dann das Schäfchen im Trockenen hast, dann musst du was anders machen. Mein Haus ist für mich immer noch ein existierendes Netzwerk aus Personen von damals.

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vor 6 Jahren