Mein Interesse auf Nachbarn zuzugehen war sehr eingeschränkt.

Gesprächsrunde über die Ostberliner Hausbesetzerbewegung in den 1990er Jahren – Teil2

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Das ehemalige besetzte Haus Oranienburger Str. 86. in Berlin-Mitte. Dieses Haus fiel als erstes der Einführung der sogenannten Berliner Linie in Ostberlin zum Opfer und wurde am 31. Juli 1990 von der DDR-Volkspolizei geräumt.

Dietmar: Ihr habt ja nicht in einem luftleeren Raum gelebt. Ihr hattet ja auch Nachbarhäuser. Normale Bürger und Bürgerinnen, die in normalen Häusern gelebt haben, haben plötzlich so einen „Chaoten Haufen“ vor die Nase gesetzt bekommen. Gab es da Bindungen? Gab es da Reaktionen, die ihr wahrgenommen habt? Positive wie negative? Wie seid ihr in eurer eigenen Straße von den Leuten wahrgenommen worden.

David: Also in meiner Erinnerung war die Linienstraße ja auf dieser Ecke. Da gab es genau gegenüber diese halbe Platte, sag ich jetzt mal. Die aber sozusagen, das waren unsere Nachbarn eigentlich. Im Prinzip war das immer so eine anonyme Wand. Ich persönlich erinnere mich immer nur an einen Balkon. Von diesem Rettungssanitäter. Das war der einzige von den Leuten, der sich mit mir persönlich unterhalten hat. Und der stand fortan immer winkend auf seinem Balkon mit seinen Kindern, die auch noch Ewigkeiten danach mit mir gesprochen haben, selbst als ich da nicht mehr gewohnt habe. Und das ist mein einziger echter Kontakt, mit der tatsächlichen Nachbarschaft. Meine anderen Bemühungen, waren relativ fruchtlos. Da war noch dieser arme Vietnamese, der in seiner Bretterbude. Der wusste aber nie so wirklich, was er von mir wollte.

Rüdiger: Ja, es war schwierig. Also wir haben schon versucht, Kontakt aufzunehmen. Mit dieser Aktion, Brot verkaufen, Eier verkaufen. Wir haben ein Frühstückscafé eingerichtet. Ein Straßenfest gemacht. Also es gab schon Kontakte, aber eher so vom Kopf her. Also wir haben gesagt, wir wohnen hier, wir wollen uns einbetten, wir wollen zeigen, wer wir sind und was wir wollen, aber das war immer auf so einer…ja wie soll ich es sagen? Auf so einer technischen Ebene. Es haben sich nicht wirklich echte Kontakte daraus gebildet. Also so ein: „Ach Hallo, wie geht es dir denn?, wenn man sich auf der Straße traf, oder ein herzliches Miteinander, also das war schwierig. Es waren ja auch immer die aus dem Westen, die Chaoten. Klar, wie wir auch da herumlaufen, wie wir aussehen, wie wir uns aufführen. Es war schwierig. Es war sehr schwierig.

Michl: Aber ich hatte auch nicht den Eindruck, dass wir groß negativ aufgefallen sind. Also wir hatten uns da auch eigentlich, relativ gut im Griff. Also wir hatten einen ziemlich respektvollen Umgang mit dem Nachbarn. Wir haben zum Beispiel nie irgendwelche lauten Partys gefeiert und das Fenster aufgelassen. Wie es in anderen besetzten Häusern üblich war. Das fanden wir eigentlich immer eher asozial.

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Das ehemals besetzte Haus Tucholskystr. 30, in Berlin Mitte.

 

GELÄCHTER UNG GEGRUMMEL Allgemein: Du. Sag du!

Michl: Also ich, sag ich jetzt mal. Das wollten wir so gar nicht haben. Wir haben halt versucht, eine gute Nachbarschaft zu pflegen. Das war so unser Anspruch. Und in sofern, hatte ich nie den Eindruck, dass wir da Anfeindungen ausgesetzt wurden.

Heinke: Also wir hatten ja immer noch so ein bisschen das Glück, wir waren ja hinten im Hof. Wir hatten Kontakt, zu dem Geschäftsführenden im Vorderhaus. Und da hat sich etwas ganz Doll gedreht. Am Anfang waren wir völlig gegen ihn. Ein Supermarkt wollte da einziehen. Das ging überhaupt nicht. Niemand sollte da einkaufen, das waren so die Richtlinien. Der wurde aber über die 20 Jahre unser guter Freund. Das hat sich in die ganz andere Richtung gedreht. Der Supermarkt Besitzer, war allen bekannt. Der ist jetzt gerade raus, seit gestern, leider! Und der hat uns oft unterstützt. Also wenn vorne das Tor zu war, konnten wir durch den Supermarkt rein. Der hat uns mit Lebensmitteln versorgt, mit uns gefeiert. Der hat seine Räume jetzt selbst für Partys frei gegeben. Also das hat sich eher in die positive Richtung gedreht. .. Und die Nachbarn, also im Vorderhaus wohnte eine alte Frau über 50 Jahre. Und die hat uns mit überlebt. Und zu der war der Kontakt auch gut, fand ich. Also der Rest vom Vorderhaus ist immer wieder ausgezogen, wenn es ihnen zu laut wurde. Aber zu denen hatten wir keinen oder wenig Kontakt.

Dietmar: Entschuldige, dass ich mal nachfrage. Das sind dann aber immer eher Einzelbeispiele. Aber zum Gros der Leute hattet ihr aber eher keinen Kontakt?

Heinke: Also…

Dietmar: Häuser links, rechts, 5? 8?, gegenüber?

Heinke: Ne…! Ne, wenig Kontakte. Und da hat sich dann aber auch ganz schnell, also die Bewohner haben gewechselt. So schnell, dass man gar nicht merken konnte, dass die schon wieder draußen waren. Auch die Geschäfte haben schnell gewechselt. Da ist nicht viel mit Kiez in der Straße. Aber wir haben immer Besuch von außen und das hält sich auch bis jetzt. Die Tafel 2x die Woche. Und die Kneipe, die es gibt.

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Die Nutzer und Bewohner des ehemals besetzten Kunsthaus Tacheles, in Berlin-Mitte, müssen sich seit Jahren gegen Räumungsbestrebungen des Eigentümers erwehren.
 

Wolfram: Em, ne eher nicht. Also ich hab das sozusagen aus meiner Erinnerung sehr unterschiedlich wahrgenommen. Es gab Häuser, die haben sich intensiv um ihre Nachbarschaft bemüht, die haben auch Straßenfeste organisiert. Da ist dann nicht so sehr viel rumgekommen. Das ist mit der Nachbarschaft in der Großstadt. Die ist per se immer ein bisschen anonymer, zurückhaltender. Und unser Haus hat sich da immer drum bemüht. Also wir haben ja Straßenfeste organisiert. Also in der Lottumstraße. Da kann ich mich noch dran erinnern. Und da darf man ja auch nicht vergessen, so ab ’90 oder vor allem ’91. Da war dann ja der neue Senat. Da ist ja dauernd Stimmung gegen die besetzten Häuser gemacht worden. Im Osten war der Slogan, das weiß ich noch ganz genau, „Das sind diejenigen, die sich an der Warteschlange der Wohnungssuchenden vorbei schummeln“. Das machte jetzt nicht unbedingt die Türen auf. Und da war es ja unterschiedlich in den verschiedenen Stadtbezirken. Mitte der 90iger Jahre hat der demokratische Wandel in Prenzlauer Berg noch nicht stattgefunden und da gab es noch Leute, die haben gesagt: die sind ja ganz nett. Und wie man seinen Rock trägt, ist jedem seine Sache. Da war sozusagen ein relativ ausgeglichenes Verhältnis da. Aber es gab natürlich auch andere Stadtbezirke, da war das ganz anders. Wenn ich mich noch daran erinnere, als dann die Räumung der Häuser in der Mainzer Straße war. Wie die Leute an der Frankfurter standen und riefen: „Haut se auf die Schnauze det Pack!“. Naja…mit denen willst du dann auch nicht unbedingt in der Kneipe sitzen, oder ein Straßenfest machen.

Dietmar: Ich kann mich noch entsinnen, dass es mal soweit ging, dass in unserer Straße, das hat uns dann schon etwas irritiert. Da waren ja die Leute gegenüber, also 10A, 10, 9, 8, das waren ja alles besetzte Häuser und gegenüber waren ja normale Häuser. Also wir fanden das dann schon etwas irritierend, dass die Leute dann anfingen, ihre alten Möbel bei uns abzulagern. Also den Schrott, den sie nicht mehr haben wollten, bei uns im Hausflur zu entsorgen. Und ich kann mich entsinnen, dass einer mal dabei erwischt wurde und meinte, uns damit Gutes zu tun. Also was er da abgestellt hat, das war im wahrsten Sinne des Wortes ein Schrotthaufen. Das war kaputt, das war wirklich im Arsch. Und er meinte dann so: Na ja, das ist doch genau das richtige für euch. Es war wirklich eine Art von Herabwürdigung. Und das mit den Straßenfesten. Klar haben wir Straßenfeste gemacht. Aber das war in keiner Weise nachhaltig. Also wir haben die ja nicht für die Straße gemacht, sondern für uns. Da kamen dann natürlich auch Leute aus den normalen Häusern und haben sich da amüsiert. Aber es war nicht in dem Sinne nachhaltig, dass wir Kontakt hatten mit den Leuten in unserer Straße.

Wolfram: Aber Dietmar, erinnere dich bitte, wir haben einmal sogar alle ins Bandito Rosso (Kneipe) eingeladen. Und das haben wir zwei- oder dreimal gemacht. Aber wenn sie uns ihre alten Schabracken in den Hausflur gestellt haben, dann meinten sie es gut. Nur das wir dann nicht wussten, wohin mit dem Müll, aber wir hatten damit auch nichts am Hut. Aber eigentlich war das eine gut gemeinte Geste. Ich habe das immer so aufgefasst und auch nicht als Herabwürdigung.

Molti: Bei uns war das so gewesen, dass wir am Anfang, als wir ins Haus eingezogen sind, von den Mietern mit ziemlich großer Freude begrüßt worden sind, weil das Haus halb leer stand. Ab und zu pennten da immer irgendwelche Leute drin oder machten Partys in den verlassenen Wohnungen. Die Mieter waren froh: „Toll, endlich wohnt hier jemand!“ Dann gab es aber relativ schnell Konflikte. Wir Hausbesetzter lebten eine ganz andere Kultur. Die Mieter sind dann auch relativ schnell ausgezogen, beziehungsweise haben Wohnungen von der KWV angeboten bekommen, damit wir isoliert werden. Zu den Leuten, die in der Straße gewohnt haben, hat es nie wirklich Kontakte gegeben, mit Ausnahmen. Zwar zwischen einzelnen Leuten, aber nicht zwischen dem Haus und anderen Mietern. Solche Kontakte kann man ja nur als Einzelperson unterhalten. Wir saßen in Gremien drin. Es gab zum Beispiel bis Mitte der 90er Jahre eine Betroffenenvertretung im Samariterviertel. Da habe ich mitgemacht. So war man strukturell mit eingebunden. Jetzt haben wir Probleme und zwar, weil unser Laden unten, das Schreiner Kaffee, als zu laut empfunden wird. Das ist jetzt so, war früher jedoch anders. Wir erleben jetzt die zweite Welle des Einwohneraustausches. Nach den Proletariat kamen ab 1990 die bunten Leute und jetzt, wo die Wohnungen teuer geworden sind, kommen die Schlafbürger. Und die möchten keinen Krach.

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Das ehemals besetzte Haus Brunnenstr. 7, in Berlin-Mitte. Das Haus hat als linkes und politisches Wohnprojekt bis heute überlebt.,

 

David: ich finde das nicht so erstaunlich, dass sich das so auseinander lebt. Also diese Bemühungen sind im Nachhinein ja auch immer ganz lustig gewesen. Im Nachhinein. Weil du machst ihnen mit allem klar, dass du so eigentlich gar nicht leben willst. Zwangsweise war mein Interesse, auf die zuzugehen und Kontakte zu knüpfen, das war sehr eingeschränkt. Denn ich war vollständig damit beschäftigt, die Leute, die mit mir in einem Haus gewohnt haben, alle kennenzulernen. Und dann die ganze Hausbesetzter Bewegung, die ja immens war. Mich mit denen da auch noch zu verdrahten, das war ja tagesfüllend, nachtfüllend. Das ist so viel Holz gewesen, ich hab das immer als so eine Aktion gesehen, denen mal zu zeigen, dass wir nicht von einem ganz anderen Stern sind. Die haben dann aber, wenn irgendwo mal eine Sirene geschrien hat, uns alle hop hop hop aus dem Haus laufen sehen. Was sie auch nicht geil fanden. Und dass die das dann nicht toll finden, können wir uns auch denken. Und wenn wir dann sagen, kommt doch mal bei und Kaffee trinken, das tun die halt nicht. Und das kann ich ihnen auch nicht verdenken. Dann mögen die das halt nicht. Und das kann ich ihnen auch nicht verdenken.

Andrej: Würde ich so ähnlich sehen. Also genau so wie es ein kulturelles Missverständnis gibt, wenn die die alten Sachen vor die Häuser stellen, genauso symbolisch ist die Einladung ins Bandito für die Nachbarn. Ist ja genauso heute mit dem „Wir bleiben alle“ – Projekt von den Häusern. Die machen das sozusagen auch so. Also die erkennen ja auch das Problem mit den Nachbarn und haben dann zu einer Runde in der öpi eingeladen. Und dann haben sie sich gewundert, dass niemand gekommen ist. Und so ungefähr haben wir damals ja auch agiert. Also machen wir Plakate und Zettel und machen dann Mieterberatung. Und dann haben wir uns gewundert, dass niemand gekommen ist. Das lag aber auch glaube ich daran, dass wir so überhaupt keinen Draht zu unseren Nachbarn hatten. Also in unserer Straße waren wir das einzige Haus. Also es gab eigentlich keine bewohnten Häuser. Es gab neben uns ein Haus, wo damals noch ein Buchladen drin war. Unten bei uns war noch ein Gewerberaum vom Optiker besetzt und ansonsten war alles leer. Ja oder auch kaputt. Und das heißt, wir hatten eigentlich nur unmittelbaren Kontakt zu den beiden Läden. Die haben sich aber nur darum gekümmert, dass wir unseren Müll nicht vor der Tür hatten, weil es dem Gewerbe ja dann nicht zugetragen hätte. Und ansonsten hatten wir eher über so Institutionen Kontakt. Ein paar von uns haben so am Rande bei der Zeitung Scheinschlag mitgemacht. Oder wir kannten Leute bei der Mieterberatung. Und die haben sich dann auch gefreut, dass so junge Menschen jetzt schon aktiv werden wollen. Und da war auch eine Ebene zu finden. Aber mit den Leuten in der Nachbarschaft ging das so auch nicht. Und mir war das so, dass wir die ersten 2 Jahre so eingenommen waren von den Dynamiken der eigenen Welt. Von dieser Hausbesetzerwelt und Szenewelt. Weiß ich nicht. Da war es 10 mal wichtiger, gemeinsam nach Hoyerswerda zu fahren, um etwas gegen die Pogrome dort zu machen, als Kontakt zu den Nachbarn zu haben. Im Nachhinein war das eine ungeheuer schnelle Abfolge von Ereignissen. Die man sozusagen mitgenommen hat. Was definitiv total bestimmend war für das, was man gedacht hat und was man gesagt hat. Da waren uns glaube ich auch strategisch Nachbarn in den ersten 2 Jahren auch nicht wichtig. Also für mich hat sich das dann umgedreht. Ich bin ja dann auch in Stadtteilinitiativen rein gegangen, wo ich gedacht hab, das muss eigentlich anders sein. Aber in der ersten Zeit spielten die eigentlich keine Rolle. So auch im Denken.

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Das ehemals besetze Haus Lottumstr. 10a (Vorderhaus) in Berlin-Prenzlauer Berg. Das Haus ist bis heute eines der bekanntesten linken Wohnprojekte. Das Bandito Rosso ist eines der wichtigsten, linken Kneipenprojekte in Berlin.
links: Januar 1990, rechts: Januar 2012

 

Michl: War bei mir dann auch so. Mich haben die Nachbarn auch nicht so interessiert. Also ich war nett und freundlich, aber das waren nicht unbedingt Leute, die ich hätte einladen müssen. Insofern war das eher so ein nebeneinander.

Dietmar: Das Ergebnis von dieser Sache war, dass man hier und da schon etwas versucht hat, Kontakte zu knüpfen, aber im Großen und Ganze war das ein aneinander vorbei leben, mit einer Fülle von Missverständnissen. 

David: Wir waren auch in einer Parallelgesellschaft par excellence.

Wolfram: Ich lebe heute noch an meinen Nachbarn vorbei. Also ich finde da keinen wirklichen Unterschied. Also zu ganz normalem Leben. Nur das es da um eine Gruppe ging und nicht um Einzelpersonen. Ich habe Kontakt zu meiner Nachbarin, die 93 Jahre ist, weil ich ihr ab und an mal etwas einkaufen gehe. Aber ansonsten…Bitte, weiß ich noch nicht einmal die Namen von den Leuten die in meinem Haus wohnen. Jetzt da, wo ich wohne. Aber das interessiert mich auch nicht weiter.

Dietmar: Aber der Unterschied ist, glaube ich, dass du jetzt Mieter unter Mietern bist und auch keinen politischen Anspruch in deinem Mietersein hast. Aber ich denke doch, das hatten wir doch gesagt, dass viele das als politisches Projekt gesehen haben, in diesem Haus zu wohnen und den anderen Menschen auch neue Formen von Leben vorleben wollten.

Rüdiger: Ja also das ist vielleicht im aller idealistischsten Falle möglich. Aber den anderen das zeigen zu wollen. Also das für uns auch erst mal klar zu kriegen. Wie wollen wir eigentlich leben? Die einen wollen ein kleines Zimmer, die anderen wollen die Wand einreißen. Das haben wir selber erst einmal ausprobiert. Und dann nach draußen zu gehen und zu sagen, guckt euch unser Model an, wir sind die Alternative zu eurer bürgerlichen Gesellschaft.

Heinke: Also das war auch wirklich für uns überhaupt ein Ding, die Tür auf zu machen, wenn jemand kam.. Das war unser Zuhause ,und wenn andere von außen kamen, wurden die erst mal misstrauisch beäugt, was die denn hier wollen. Warum die überhaupt in unserem Hof waren.

David: Das ist ja auch der Sinn einer Subgesellschaft.

Michl: Wir sind ja auch bewusst ausgetreten aus der bürgerlichen Gesellschaft. Also ich aus Westdeutschland. Da habe ich auch nicht angefangen, mit den Nachbarn meiner Eltern Kontakte zu machen. Im Gegenteil, ich wollte ja weg. Warum sollte ich es dann woanders tun?!

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Das ehemals besetzte Haus Brunnenstr. 183, in Berlin-Mitte. Es wurde, obwohl mit legalen Mietverträgen ausgestattet, auf Beitreiben des Besitzers von der Polizei geräumt und dann unbewohnbar gemacht. Das Haus wechselte danach mehrmals den Eigentümer und steht auch im März 2012 leer

 

Molti: Ich kann das nur bestätigen. Es ist eigentlich eine Wiederholung der gleichen Ereignisse aus den 80ern gewesen. Wir haben uns als die Leute angesehen, die etwas verändern wollten. Und was haben die Bürger gesagte? „Ihr wärt früher vergast worden!“ Und das war nicht anders, später zu Besetzerzeiten. Da musste man einfach noch mal kapieren: Das sind die Bürger. Die haben früher das Fähnchen hoch in den Wind gehalten und jetzt machen sie das auch. Das ist einfach eine andere Kultur, die wir lebten und leben. Da steht man dann eben dazu.. Und das gefällt einem oder nicht.

Sascha: Also die Ostler in unserer Gegend, die haben sich ja auch speziell übervorteilt gefühlt. Also normalerweise hast du dich ja im Osten angemeldet und dann 10 Jahre gewartet und hast dann deine Wohnung gekriegt. Und wir haben uns ja an der Schlange vorbei gedrängt. Und uns das einfach genommen.

Molti: Aber das hab ich schon in den 80ern gemacht, wenn wir in Ostberlin Wohnungen besetzt haben: Pah! Die Idioten, die gehen zum Wohnungsamt!“ Wir besetzen einfach Wohnungen.

Sascha: Und viele Leute in unserer Gegend waren da explizit sauer. Die drängeln sich ja an der Schlange vorbei. Da könnte ja jeder kommen.

Molti: Das ist doch immer so.

Wolfram: Das ist ihnen so gesagt worden. Das stand so in der Zeitung.

Sascha: Und wenn die dann auch noch so Bomben werfende Männchen auf ihre Front malen, dann ist das nicht so der Einstieg. GEGRINSE Ich mein, die mussten ja unsere Fassade angucken. LAUTES GELÄCHTER Wir haben das ja nicht gesehen. Aber jeden Morgen, bevor sie zur Arbeit gingen, haben sie den Mann mit der Bombe gesehen. NOCH LAUTERES GELÄCHTER

Andrej: Um das jetzt nicht ganz ins Abseits zu reden. Ich glaube, dass das was in den Häusern ablief, für junge Leute total attraktiv war. Wir waren als Gruppe komplett aus Hohenschönhausen. Manche hatten ihre Kumpels da noch. Und das wurde mit der Kneipe sofort zum Anlaufpunkt, von jungen Leuten, die wir gar nicht kannten. Die sind dann immer mit der Straßenbahn bis zum Hackeschen Markt gefahren und dann immer in die Neue Schönhauser gegangen. Und den hat es da total gefallen. Die konnten damit was anfangen. Und die haben wir dann immer mit auf Demos geschleppt. Und von daher ist das nicht so, dass die Welt der Hausbesetzung völlig abgeschlossen war. Die hatte bei manchen schon eine hohe Attraktivität. Die saßen dann zum Teil auch bei uns im Wohnzimmer. Also wir waren dann für Leute, die wir nicht direkt kannten, sondern die von dem und dem über den und den kamen, schon sehr schnell offen gewesen und haben die in unsere Wohnungen und Küchen gelassen. Es war glaube ich eher eine Altersfrage oder weiß ich nicht, wenn die einen Irokesenschnitt hatten, dann waren sie auch herzlich willkommen. Weil wir die dann für welche von uns hielten.

2012-Jan-Lottumstr.26.jpgDas ehemals besetzte Haus Lottumstr. 26, in Berlin-Prenzlauer Berg. Das Haus wurde von seinen Besetzern in Selbsthilfe saniert und wird nun als alternatives Wohnprojekt betrieben.

 

Dietmar: Okay dann würde ich jetzt gerne einen Schwenk machen, nächste Frage. Wie war denn dann der Kontakt innerhalb der Hausbesetzerszene. Also gab es da Kontakte zu anderen Häusern? Zu anderen Gruppen? Also Stichworte wie Häuserplenum und Besetzer Rat sind schon gefallen. Was ist da organisiert worden? Das hört sich immer so nach Verhandlungsebene an. Also wurde auch verhandelt. Mietverträge oder so. Aber gab es da dann auch persönliche Kontakte? Neue Freundschaften? Oder hat da jedes Haus für sich hingelebt?

Sascha: Ja unbedingt, das war ja der Reiz der Sache. So die Connections zu den anderen Häusern. Dass das so ein großes organisches Dinge zwischen den Häusern war. Das war schon. Also ohne das wäre das alles schon ziemlich schnell langweilig geworden. Ohne die anderen Häuser.

David: Wir hatten da ein zoologisches Interesse aneinander. Es gab da zum Beispiel eine sehr enge Verbindung zwischen der Lottumstraße, das aus Ostlern bestand, und der Linienstraße, die hauptsächlich westdeutsch war. Und das fand ich extrem spannend und sehr attraktiv.

Wolfram: Ich wollte dich nur darauf hinweisen, dass das BesetzerInnen Rat hieß. Da hatten wir damals stundenlange Diskussionen. Die Ostler haben Besetzer Rat gesagt und haben dann immer eins über den Schädel gekriegt. Sascha: Aber das ist jetzt erst mal eine völlig andere Ebene. Besetzter Rat und die Kontakte, das sind zwei ganz andere Sachen. Heinke:Ich glaube, es gab dann auch immer ganz unterschiedliche Modelle. Es gab persönliche Kontakte, die ganz eng waren, dann gab es so Häuserliebschaften, die auch immer über die Generationen mitgetragen wurden… Aber ich fand, das hielt sich auch ganz doll in dem Bezirk. Also bei uns war das eher Mitte. Friedrichshain war echt weit weg. Aber so ohne Handy und am Anfang auch ohne Telefon, da war es einfach schneller, sich zu besuchen. Hey, ich brauche dringend Hilfe. Dadurch entstanden die ganzen Kontakte. David: Ich fand das wirklich am spannendsten mit der Lottum. Weil so am Anfang. Wir kannten uns ja gar nicht groß. Das ist über irgendeine Kleinigkeit ins Rollen gekommen. Keine Ahnung. Breit mit dem Auto. Sascha: Ne, ne, ne. Eines Tages standet ihr in unserem Infoladen und wolltet wissen, wie das denn funktioniert. Wie man das denn macht. Und wolltet unser Handbuch zum Hausbesetzen. Und wir haben dann gesagt: Hey, nehmt euch einfach eins, aus fertig. So ging das los. So habe ich das in Erinnerung. Dietmar: Ne, wir haben dann noch gesagt: Okay, ihr müsst einen Verein gründen. Und die Linienstraße wurde sozusagen adoptiert. David: Eben. Das ist aber schon noch ein bisschen später. Weil das schon so zwei Sachen waren, die gar keine große Berührung hatten. Und dass das einfach so durch diese Häuser durch ging. Dass das so eine große Gruppe war. Das fand ich schon spannend. War lustig. Und das andere war halt. Gut wir haben die halbe Antifa Jugendfront aufgenommen. Da aus der Mainzer Straße, die dann ja geräumt wurde. Und das ist ja auch erstaunlich glatt gelaufen. Das war ja dann schon ein ziemlicher Schwung an Leuten. Und im Prinzip waren wir ja vorher eigentlich auch schon voll.

2012-Jan-Fehrbelliner7_6.jpgDie ehemalig besetzen Häuser Fehrbelliner Str. 7 und 6. Die Häuser wurden vor einigen Jahren von den jetzigen Bewohner saniert.
 

Michl: Das hat mich ja aber auch sehr überrascht. Also dass das so gut läuft. Ich hätte gedacht, dass läuft schief.

David: Genau. Ansonsten gab es dann noch diese Institutionsebene. Von der ich jedoch relativ schnell die Schnauze voll hatte. Denn von dem endlosen Schleifen drehen. Also das ist meine persönliche Wahrnehmung. Ich bin da bis heute nicht gut drin. Also ich kriege da schnell die Krise.

Wolfram: Aber das muss man zeitlich genau differenzieren. Also so zusagen, erst einmal in die Zeit vor oder während der Mainzer Straße und dann in die Zeit danach. Da müsste man irgendwie einen Modus Vivendi finden. Ich weiß noch, da habt ihr uns total komisch angeguckt, als wir da diesen Runden Tisch in Prenzlauer Berg hochgezogen haben. Da habt ihr erst mal sehr zurückhaltend drauf reagiert. Und habt euch dann erst mal mit der Idee angefreundet. Das es Erfolg hatte, was wir da durchgezogen hatten. galt ja nicht nur für euer Haus, sondern für viele Häuser in Mitte.

Dietmar: Vielleicht kann ich da kurz mal einhaken, weil wenn wir uns mal tatsächlich mit diesen Strukturen befassen, die die Besetzer sich geschaffen haben. Vielleicht sollte da mal kurz erklärt werden, was diese Strukturen waren. Natürlich ist da die Mainzer Straße, die geräumt wurde. Es gab dann aber auch vorher schon Hausbesetzerstrukturen. Es gab aber nach der Räumung dann andere Strukturen. Es gab ja aber auch schon vor der Mainzer massive Konflikte unter den Häusern, bezirksweise. Und die Frage ist nun, wer hat die Macht, da zu entscheiden? Also innerhalb des Besetzer Rates. Und ist der Besetzer Rat überhaupt legitimiert, Verhandlungen durchzuführen?

Molti: Ich gehöre ja auch zu denen, die nicht gern zum Besetzer Rat hingegangen sind, denn ich fand das immer tierisch anstrengend und auch fruchtlos. Und das ist auch so bei den anderen von uns gewesen, nach meiner Wahrnehmung. Es gab zwei verschiedene Arten von Kontakten, die persönlichen, die bis heute anhalten, und dann gab es dieses strukturelle Ding bei diesen Treffen. Wir haben uns eher nach Süden orientiert, weil Kreuzberg viel dichter an uns dran lag als Mitte oder Prenzlauer Berg. Wir hatten sogar zeitweilig Kontakt zu den Alt-Besetzern im Kreuzberger Kerngehäuse. Und das waren auch persönliche Kontakte. Der Besetzerrat war eine andere Geschichte. Zuerst wurde gesagt: „Verträge für alle oder niemanden!“ Dann hat die Wohnungsbaugesellschaft schon ziemlich früh gefordert: „Die Schreinerstraße darf nicht!“ Deswegen hatten wir immer einen nicht so guten Stand. Wir konnten zwar mit im Besetzer Rat sitzen ,aber über uns wurde dann nicht entschieden. Wir haben aber immer sehr großen Wert darauf gelegt, dabei zu sein. Und dann bei der Räumung der Mainzer Straße, da waren die Verhandlungen ja schon recht weit fortgeschritten. Da fing es meiner Erinnerung nach auch an, dass dieser Runde Tisch zwischen Besetzern und Mietern griff. Nicht immer und überall. Das musste beseitigt werden. Für den Innensenator Petzold durfte so etwas nicht existieren. Und das wurde dann exekutiert und das war ein ziemlich gewaltiger Einschnitt für die Besetzerbewegung. Trotzdem gab es danach wieder erneute Verhandlungen und die waren dann aber, soweit ich weiß, bezirksweise.

schoenhauser-1989-2012.jpgDas erste besetzte Haus in Ostberlin, Schönhauser Alle 20, in Prenzlauer-Berg. Bild links: Dezember 1989 und rechts Januar 2012.

 

Wolfram: Wenn ich mich recht erinnere ist das eine Zäsur. Weil, wenn ich mich recht erinnere, ist der gesamte Berliner BesetzerInnen Rat, weiß ich nicht, nicht über und nicht wegen der Mainzer Straße auseinander gebrochen. Und davor gab es große Streitereien drinnen. Es war alles kompliziert. Verhandlungen mit dem Schweinesystem JA oder Nein? Und nach dem diese 3 Tage Räumung Mainzer Straße stattfanden, organisierte sich das dann neu, bezirksweise. Also es gab ein Prenzlauer Berger B-Rat und ein Mitte B-Rat und in Friedrichshain hat man sich davon nicht erholt, denn da gab es dann ja keinen mehr. Es gab einen Versuch, der ist fehlgeschlagen. Das hat in Friedrichshain nicht funktioniert.

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vor 6 Jahren