Die HausbesetzerInnenbewegung in Ost-Berlin, Teil1

erschienen in der Zeitschrift telegraph, Ausgabe 9/1995

Im Jahr 1990 erklärten mehr als tausend Menschen weit über einhundert leerstehende Wohnhäuser in Ostberlin für besetzt und eine knappes Jahr prägte eine selbstorganisierte, soziale und kulturelle Bewegung die Stadt, die nur mit der Hausbesetzerbewegung 1980/81 in Westberlin verglichen werden könnte. Allerdings ist Bekanntlich nicht alles Gold was glänzt und kratzt man an Fassaden, so kommt oft manch übler Rott zum Vorschein. Und weiter stellt sich auch heute noch immer die Frage, was diese Bewegung so schnell an seine Grenzen stoßen und scheitern ließ.

ND vom 30./31.12.989: Hausbesetzung in der Schönhauser Allee 20
ND vom 30./31.12.989: Hausbesetzung in der Schönhauser Allee 20

Natürlich war da die Weigerung der Behörden und zu­ständigen Regierungsstellen, die diese Bewe­gung unter allen Umständen beseitigen wollten, wenn möglich mit härtester Repression. Aber auch die Besetzer hatten Mühe, die verschiede­nen Ansätze und das Unvermögen solidarisch unter einen Hut zu bringen. Die klassischen Machtstrukturen funktionierten auch in dieser Bewegung. Minderheitenpositionen wurden an den Rand gedrängt und zum Schweigen ge­bracht. Nur die lauten Politakrobaten setzten sich durch. Die leisen Töne wurden nicht gehört. Und nicht zuletzt exerzierten schon die Hausbesetzer vor, was gesamtdeutsch offiziell erst mit der Währungsunion im Juli 1990 und mit der Vereinigung im Oktober 1990 einsetzte: die Einverleibung des Ostens. Der sogenannte Ost-West-Konflikt trat in den Hausbesetzerstrukturen sehr schnell zu Tage und führte sehr schnell zu bösem Blut, Intrigen und Spaltung. Und letztendlich waren die fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung, ein fast vollständiger Ver­zicht auf Öffentlichkeits- und Pressearbeit, das „nur mit sich selbst Beschäftigen“ Gründe die zu einer immer stärker einsetzenden Isolierung führten. Gerade die Nabelschau führte bei vie­len zu einer völligen Betriebsblindheit. Die Haus-besetzer fühlten sich als der Mittelpunkt der Welt. Elitäre Arroganz degradierte die übrige Bevölkerung zu „Normalos“, „Stinos“, „Prolls“ etc. Dies alles machte die Bewegung nicht nur brüchig und angreifbar, sondern setzte sie auch politisch in den Sand.

Eigentlich fing alles viel früher an.

Hausbesetzungen waren auch in der DDR nichts Neues. „Schwarzes Wohnen“ in leerstehenden Wohnungen galt praktisch als Volkssport und wurde zu einer wahren Massenbewegung. Viele Wohnungsbesetzungen führten mit der Zeit zu der Tatsache, das auf diese Weise plötzlich

ganze Häuser „schwarz“ bezogen waren. Ein Beispiel dafür war das Haus Prenzlauer Allee 203/204. Seit dem Frühjahr 1989 wurde Stück für Stück die Wohnungen des Hinterhauses eine nach den anderen „schwarz“ bezogen. Im Januar 1990 erklärten sich die Wohnungs-besetzer als Gruppe und das Haus als besetzt. Oftmals waren Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) und Polizei zu überfordert, um dieses zu bemerken. Meistens wurden sie erst durch Denunziationen von „wachsamen Mitbürgern“ darauf aufmerksam. War dies erst einmal geschehen, hing das weitere Verfahren von den meist korrupten Sachbearbeitern der KWV ab. War die jeweilige Wohnung zum Beispiel Teil der Schieberpläne des zuständigen Sachbearbeiters, war ein Rausschmiß durch die Polizei und eine hohe Geldstrafe unausweichlich. Hatte der Sachbearbeiter keine Pläne so konnte der Besetzer hoffen, mit der Geldstrafe davon zu kommen und in der Wohnung bleiben zu dürfen.

Immer wieder kam es zu stillen Beset­zungen von Hinterhäusern. Offene Hausbesetzung waren selten, wurden jedoch auch immer wieder versucht. Besonders in den achtziger Jahren nahmen diese Unternehmun­gen zu. So besetzten Punks ein Haus in der Ostberliner Gleim-und Wörtherstraße im Stadtbezirk Prenzlauer Berg; auch in der Pfarrrstraße in Berlin-Lichtenberg wurde ein Haus von Punks besetzt. Diese Besetzungen wurden recht schnell von Polizei und Staatssicherheit beendet, die hinter diesen Besetzungen die Bildung neuer konspirativer „feindlich negativer“ Zentren vermutete.

So ist es auch nicht weiter verwunder­lich, daß das erste offizielle Haus der Hausbesetzerbewegung in Ostberlin eigentlich eine stille fortschreitende Wohnungsbesetzung war, die im Sommer 1989 zur einer stillen Hausbesetzung wurde. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Polizeiinspektion Prenzlauer Berg versuchten die Besetzer der Schönhauser Allee 20, nicht aufzufallen. Das gelang auch durch den Umstand, daß noch einige offizielle Mieter das Haus bewohnten. Nach der Wende wartete man immerhin noch drei Monate ab. Am 22.12.1989 gaben sie ihre Besetzung offiziell mit Transpa­renten bekannt. Dieser Tag gilt als Beginn der Hausbesetzerbewegung in Ostberlin.

Schönhauser 20/21 – Aufstieg und Fall eines Symbols

JW, vom 9.1.1990: Dieses Haus ist besetzt - Junge Leute wollen Altbau in der Schönhauser erhalten
JW, vom 9.1.1990: Dieses Haus ist besetzt – Junge Leute wollen Altbau in der Schönhauser erhalten

Als die Besetzung des ersten Hause in Ostdeutschland bekannt wurde, schlug dies in beiden Teilen Deutschlands ein wie eine Bombe. Das Haus wurde binnen kürzester Zeit zu einer überregionalen Pilgerstätte. In dem notdürftig ein­gerichteten Info-Cafe war jeden Tag Hochbetrieb. Die Ka­mera-Teams und Journalisten gaben sich die Klinke in die Hand. Besonders die noch unangetastete aber bereits wendebeflissene DDR-Presse berichtete über einen langen Zeitraum ausführlich, lobte die mutigen, tatkräftigen jungen Leute vollmundig.

Verschiedenste Politiker ließen sich sehen. Aus dem ganzen Land strömten Interessierte, Sympathisanten, Abenteurer, Sensationslüsterne zu dem Haus. Bei drohen­den Naziüberfällen war das Haus voll mit Leuten, die die Besetzer unterstützten und gegen vermeintliche Angriffe von Nazis schützten.

Die Bewohner aalten sich in einem Klima allgemei­ner Zuneigung, auch nachdem es wieder ruhiger wurde um die Schönhauser und der „Glanz Ihrer Tat“ durch weitere Besetzungen etwas verblaßte und relativiert wurde, und gaben sich der Illusion hin, ausreichend Kraft und Offentlichkeitsbonus zu besitzen, ihre Geschicke selbst lenken zu können. Doch schnell mußten sie feststellen das dies nicht an dem war, nachdem ihre Verhandlungen mit Stadt und KWV in eine Sackgasse endeten. So entschloß man sich ein Stück gemeinsam mit den anderen Besetzen zu gehen und zu sehen, was dabei heraus käme. Doch dieses Stück Weg währte nur bis etwa Mitte 1990. Die Bewohner erlagen dem Lockruf des Goldes. Der Westberliner Senat stellte zu dieser Zeit 25 Millionen D-Mark zu Verfügung und boten dies den Häusern zur Sanierung an. Au­ßerdem wurden ABM-Stellen in Aussicht ge­stellt. Der Hintergedanke war klar. Man versuch­te einige Häuser zu kaufen und sie damit aus dem Besetzerverbund herauszubrechen, um sie dann als die guten Besetzer aufzubauen. Außerdem hoffte man nach alten Stil, in diesen Häusern jeden politischen Elan durch Arbeit zu ersticken. Als die Häusbesetzer erfuhren, daß die 25 Millionen aus dem Westberliner Sozial­fond abgezogen wurden, lehnten die meisten dieses Geld ab. Nicht die Bewohner der Schönhauser. Dieser Köder war zu verlockend für sie, um ihn vorbeischwimmen zu lassen. Trotz aller Warnungen und gegen jede Vernunft schnappten sie danach und – das sollte sich schnell herausstellen – verschluckten sich dar­an. Nachdem die Bewohner nach harten Aus­einandersetzungen auf mehreren Besetzertreffen demonstrativ aus dem Häuser­verbund austraten, unterschrieben sie die ihnen vorgelegten Knebelverträge, kassierten das Geld und begannen zu bauen.

Eine Bewohnerin der Schönhauser 20 beschrieb in einem Interview mit dem „telegraph“ im Januar 1994 die damalige Zeit: „Es war das erste offiziell besetzte Haus von Ostberlin, das dann auch in dem 25 Millionen Projekt der Stadt war. Für eine Renovierung der Nummer 21 haben wir 3,5 Millionen Mark bekommen für die 20 2,5 Millionen.“ Angesprochen auf die Her­kunft des Geldes antwortete die Bewohnerin: „Bei uns fehlte den meisten das Bewußtsein. Fast alle aus dem Haus waren über ABM einge­stellt. Als das Geld kam, begann die Gemein­schaft zu bröckeln. Viele haben sich Marken­klamotten gekauft und sind ihren eigenen Weg gegangen“.

Die Ostberliner Häuserbewegung entsteht
Ab etwa Dezember 1989 setzten dann die er­sten direkten Besetzungen ein. Bis zum Februar 1990 wurden etwa 20 Häuser besetzt. Ein im Januar gebildeter Besetzerrat sollte in Zukunft die Handlungen aller Häuser koordinieren und die Verhandlungen mit der KWV und dem Magi­strat organisieren und führen. Bis dahin lag der Schwerpunkt eindeutig im Prenzlauer Berg. Im Bezirk Friedrichshain waren zu dieser Zeit gera­de zwei Häuser besetzt und im Bezirk Mitte sogar nur ein Haus. Ab dem Januar 1990 kamen die ersten Besetzer aus dem Westteil Berlins. Die Häuser Kastanienallee 85/86 im Prenzlauer Berg und das Haus Köpenicker Str. 137 wurden als sogenannte Ost-West-Besetzungen bezeich­net. Diese Projekte hatten sicherlich Symbol­charakter und sollten zeigen, daß es möglich ist, zusammen mit Westlern im Osten Häuser­projekte durchzuführen. Diese „Westbesetzer“ legten auch noch bedachte Zurückhaltung an den Tag. Sie zollten dem Umstand Rechnung, daß sie in einem fremden Land mit Ihnen völlig fremden Verhaltensweisen eine kleine Minder­heit innerhalb der ebenfalls nur kleinen Gruppe Ostberliner Häusbesetzer waren. Das galt auch noch für die weiteren Besetzer, die nun ab Ende Februar/Anfang März 1990 aus dem Westteil Berlins herüberkamen und nach zaghaften An­fragen, ob es denn wohl genehm wäre, die ersten reinen „Westbesetzungen“ durchführten. So etwa in der Brunnenstr. 7, der Tucholskystr. 32 und der Linienstr 206 in Mitte.

Dieses Verhalten änderte sich erst mit dem Umstand, daß sich mit der Zeit eine Verän­derung des Kräfteverhältnisses zwischen Ost und Westbesetzem abzeichnete. Während das Potential von Ostbesetzern sich bereits Anfang 1990 erschöpfte und spätestens nach Februar 1990 kein Haus mehr von Ostberlinern besetzt wurde, drängten ab Mitte März immer mehr Leute, Autonome, Antiimps, Studenten, Künst­ler, Obdachlose etc. nach Osten und besetzten hauptsächlich im Stadtbezirk Mitte. Während bis Ende April 1990 in Stadtbezirk Friedrichs­hain noch immer nur besagte zwei Häuser, einmal in die Schreinerstr.47 und einmal die Kreuziger Str. 19 besetzt waren. Das änderte sich jedoch im April 1990 sprunghaft.

Spekulanten greifen nach dem Friedrichshain und lösen eine Besetzerwelle aus
Etwa Anfang April 1990 erhielt ein Mitarbeiter des „telegraph“ bis dahin geheimgehaltenen Informationen über Spekulations- und Um­strukturierungspläne zwischen der Friedrichshainer KWV und einer Nachfolgefirma des be­rüchtigten Immobilienhais „Neue Heimat, der „WIR“. Es ging um die Übernahme oder gemein­same Bewirtschaftung großer Teile des Stadt­bezirks, so zum Beispiel in der Niederbarnim-straße, der Mainzer und der Kreutziger Straße. Die Friedrichshainer KWV sollten zuvor einige Bedingungen erfüllen, um das Geschäft für die Neue Heimat lukrativ zu machen. Die zur De­batte stehenden Häuser müßten vorher saniert werden. „Natürlich“ durch die KWV. Die Maß­stäbe wiederum setzte die WIR. Zu dieser Zeit lief bereits die Projektierungsphase. Vorgese­hen war, die Erdgeschoße, die ersten Etagen, die Dachböden und die Fassaden nach gängi­gen Weststandart zu sanieren und in Gewerbe-und Büroräume sowie in Atelierwohnungen um­zuwandeln. Die übrigen Etagen sollten nach billigsten DDR-Standart saniert werden. Es war geplant, in diese Wohnungen, sicherlich mit Absprache regierender Stellen in Ost und West, bis dahin in Kreuzberg lebende Ausländer, so­wie die Armutsbevölkerung über den ökonomi­schen Hebel umzusiedein. Diese Bestrebungen wurden plausibel, betrachtet man den Fakt, daß Kreuzberg nach der Vereinigung beider Teile der Stadt direkt zum Stadtzentrum wurde. Die­ser Verdrängungprozeß fand in den darauffol­genden Jahren mit aller Härte statt und läuft immer noch. Der Wandel Kreuzbergs zum teu­ren Schicki-Micki-Bezirk ist noch in vollem Gan­ge. Dem gegenüber steht eine zunehmende Verelendung der „Urbevölkerung“. Arme Leute, die die explodierenden Mieten nicht mehr zah­len konnten und können wurden in die Ost­bezirke verdrängt. Allerdings hat spätestens seit 1992 in Ostbezirken wie Mitte und Prenzlauer Berg genau diese Entwicklung eingesetzt.

 

Berliner Zeitung 1990: Selbstgedrehte statt AbrißbirneDoch es kam erst einmal alles anders. Gemeinsam mit den Bewohnern der beiden einzig besetzten Häuser in der Kreuziger, eini­gen Autonomen aus Westberlin, schrieben un­sere Redakteure einen Aufruf an „Frauen und Männer aus Ost und West (…), sich diese Häu­ser zu nehmen, bevor es zu spät ist“ Was dieser Aufruf auslöste, war in der Dimension und sei­nen Folgen nicht vorhersehbar. In den darauf­folgenden Wochen setzte eine massive Besetzungswelle dieses Gebietes und in vielen anderen Straßen der Bezirke Friedrichshain und Mitte ein. Weitere Besetzungen fanden in der Lichtenberger Pfarrrstraße statt. Galten Anfang Mai 1990 etwa 50 Häuser als besetzt, stieg die Anzahl bis August auf Ober 120 Häuser allein in Ostberlin, eine Zahl die nur mit der Besetzerwelle 1980/81 in Westberlin vergleichbar ist. Die Hoff­nungen der Aufrufenden, weitere Ost-West-Be-setzungen zu initiieren, wurden nicht erfüllt. Die Massenbesetzungen wurden fast ausschließ­lich von Westberlinern vollzogen. Durch diesen Umstand kippte das Verhältnis Ost-West völlig in Richtung Westbesetzer. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase kam zunehmend eine extreme Dominanz westautonomer Positionen innerhalb der Besetzerzusammenhänge zum tragen, die bald alle wesentlichen Schritte und Entscheidungen beherrschten. Zunehmend wurden Ostpositionen an den Rand gedrängt. Ehemalige Besetzer der Bewegung 80/81 traten schulmeisterhaft auf und versuchten, die Ostbesetzer zu belehren. Politniks aus Autono­men und Antiimpkreisen profilierten sich großmäulig und propagierten den Revolutionä­ren Häuserkampf gegen den Imperialismus.

Besetzerrat und Vertragsgremium
An dieser Stelle gebe ich wesentliche Teile des Artikels „Die Bewegung ist tot, es lebe die Bewegung – Zwei Jahre besetzte Hauser in Ostberlin“ wieder, der bereits in der Ausgabe 8/91 des „telegraph“, sowie damals in der Besetzer-Zeitung (2. Jahrgang, Nr. 9, 22.8.91) er­schienen war. Diese Auszuge beinhalten das Wesent­liche zu diesem Thema und sind authentisch, war doch der Autor Lupo damals selbst aktiv am Aushandeln der Verträge für Prenzlauer Berg und Mitte beteiligt. „… Um den Informationsfluß zwischen den Häu­sern zu verbessern und Aktionen miteinander koordinieren zu können, wurde im Januar in den Räumen der Ostberliner „Kirche von Unten“ (KvU) ein Gesamtberliner Besetzerrat (B-Rat) ins Leben gerufen, der auf bezirklicher Ebene anfangs durch jeweils unabhängig voneinander tagende Treffen untersetzt war, die weder re­gelmäßig stattfanden, noch die politische Funk­tion des B-Rates wahrnahmen (vor allen Dingen handelte es sich um sogenannte Schutztreffen im Prenzlauer Berg). Wie alle späteren Einrich­tungen der Besitzerinnen war dieses Gremium zu einem gewissen Teil aus der Not heraus geboren: im späten Winter und im Frühjahr 1990 hatten sich die besetzten Häuser gegen eine Vielzahl von Fascho-Angriffen zur Wehr zu set­zen. Abgesprochene und aufeinander abgestimmte Aktionen waren von daher genauso notwendig wie einigermaßen funktionierende Info-Netze zwischen den Häusern eines Stadt­bezirks, vor allem aber über die Stadtbezirks­grenzen hinaus. Das äußere der Häuser verän­derte sich: zu schwarz-roten Fahnen und Trans­parenten kamen schnell Gitter, mit denen die Fenster geschützt wurden. Aus Furcht vor den marodierenden Fußballhorden und Jungfaschos verwandelte sich manches Haus in eine regel­rechte Festung. Die Menge der Häuser, die tatsächlich im B-Rat mitarbeitete, wechselte stän­dig – alle waren es nie.

Zur selben Zeit begannen aber auch die Versuche, die gewonnenen Freiräume gegen­über dem Staat abzusichern. Das Mittel der Wahl waren Verhandlungen mit dem Ziel von Sicherungsverträgen für jeweils ein Haus. An­fänglich geschah das in separaten Gesprächen einzelener Häuser mit einzelnen KWV’s, doch weil dort schon bald die Umwandlung in GmbH’s auf der Tagesordnung stand und daher nie­mand mehr kompetent war, beschloß der B-Rat, nur noch mit dem Magistrat direkt zu verhan­deln. Obwohl die Seperatverhandlungen einzel­ner Häuser den ganzen Sommer über weiterlie­fen, wurde am 22.6.90 das Vertragsgremium des B-Rates gegründet, das die Aufgabe hatte, die Verhandlungen mit dem Magistrat zu führen. Ziel dieser Verhandlungen war die Sicherung der Häuser für die Bewohnerinnen durch langfri­stige Nutzungsvereinbarungen mit der Stadt – in deren Besitz sich (damals noch) die Häuser befanden. Am 27.6.90 kam es zu einem ersten Treffen, bei dem der Magistrat noch inkompe­tent war. Eine erste reguläre Beratung fand dann am 4.7.90 statt, zu dem der damalige Stadtrat Thurmann einen gerade frisch aus der West-Verwaltung importierten Beamten namens Holzinger schickte. Dieser Mann zeichnete sich vor allem dadurch aus, daß er bereits Anfang der achtziger Jahre in Westberlin Verhandlungen mit Besetzerinnen geführt hatte (nach Lummers heißem Sommer). So wundert es auch nicht, daß das Vertragsgremium nach diesem Treffen einschätzte: „…hat die Stadt im Augen­blick weder ein Interesse noch die Zeit, sich ausführlich mit besetzten Häusern zu beschäf­tigen.“ Doch das war ein Trugschluß, denn im­merhin hatte die Stadt genug Zeit, einen Be­schluß der Stadtverordnetenversammlung her­beizuführen, der mit dem Stichtag 24.7.90 die sogenannte „Berliner Linie“ auch im Ostteil der Stadt einführte. Damit war der relative Friede mit den Behörden beendet. (Abgesehen davon, daß die „Berliner Linie“, die dann praktiziert wurde, eigentlich eine „Münchner Linie“ war: Räumung von Neubesetzungen innerhalb von 24 Stun­den. Ein SPD-MagiSenat machte CSU-Politik …).

Am 31.7.90 stecken die Verhand­lungen dann folgerichtig das erste Mal in der Sackgasse. Vor allem ein zusätzlich aufgetauch­tes Problem, die notwendige Winterfestmachung der Häuser, war damit in den Sand gesetzt. Auf Grund des Waffenklirrens von Seiten des Magi­strats beschloß das Vertragsgremium, in die Öffentlichkeit zu gehen. In einem offenen Brief an den Magistrat heißt es: „Die vom Magistrat angekündigte Projektgruppe für Haus­besetzungen hält sich bereits im Voraus für nicht zuständig. […] Politische Handlungsunfä­higkeit ist zu bescheinigen. […] Angesichts der bevorstehenden großdeutschen Wahlen ist die Devise: Verhaltet Euch ruhig und friedlich, fried­lich, friedlich, dann könnt ihr bis kurz nach den Wahlen in den Häusern bleiben.“ Immer mehr Leute hatten den Eindruck, nur veralbert zu werden. Der Eindruck war richtig, denn der Magistrat war nicht unfähig und auch nicht untä­tig. Am 10.8.90 nämlich erteilte eben jener Herr Holzinger dem Anwaltsbüro Dr. Knauthe und Partner (Kurfürstendamm 44,1/15)(…) den Auf­trag, mittels eines Gutachtens zu prüfen, wie besetzte Häuser nach DDR-Recht, das ja noch galt, zu räumen sind. Das Gutachten wurde mit Datum vom 24.8. durch Herrn Dr. Riebschläger (…) übergeben und in Gesprächen am 3.9. und einem Brief vom 7.9. erläutert. Die Herren ka­men zu dem Schluß, daß eine Räumung nach DDR-Recht „leider“ nicht möglich wäre, solange nicht die Namen der Besetzer bekannt seien. Am 30.8. nimmt daraufhin der Magistrat die Verhandlungen wieder auf. Am 3.10. kehrt die DDR heim ins Reich, Am 8.10.90 werden die Verhandlungen endgültig durch den Magistrat abgebrochen. Pikant ist die Begründung: man verhandle nicht mit anonymen Gremien, man wolle Namen (s.o.). Zu einer vertraglichen Ver­einbarung mit den achtundachzig, durch das Vertragsgremium vertretenen Häusern ist es nicht gekommen. Nur einzelne „Einzel-verhandler“ hatten inzwischen Nutzungs-vereinbarungen über ihre Häuser.
(…)
Das Ende des B-Rats beginnt im Sommer 1990. Im September und Oktober war dieses Besetzerinnen-Gremium von internem Streit zerfressen. Anlaß waren, vorsichtig ausgedrückt, unterschiedliche Vorstellungen von der Art und Weise, in der politische Diskussionen geführt werden. Leute aus Ostberlin warfen Genossinnen aus Westberlin Mackerverhalten vor, die wiederum konterten vor allem an die Adresse von Vertreterinnen aus dem Prenzlauer Berg mit Vorhaltungen über „das Sektierertum der PrenzelBerger“. Inhaltliche Auseinanderset­zungen über die Vorwürfe wurden nicht geführt. Dem Unverständnis der einen stand die Arro­ganz und der Verweis auf längere politische Traditionen der anderen gegenüber. Aus dem Riß innerhalb des B-Rates wurde schnell eine tiefe Kluft. Eine mindestens informell wichtige Struktur der Besetzerinnenbewegung löste sich so aus kleinlichen Gründen und menschlichem Unvermögen langsam selbst auf. Einzig ein neuer Terminus war in die Diskussion autono­mer Zusammenhänge in Berlin neu eingebracht worden: der „0st-West-Konflikt“.

Der Runder Tisch Instandbesetzung Prenzlauer Berg Quelle: Zeitschrift telegraph
Der Runder Tisch Instandbesetzung Prenzlauer Berg Quelle: Zeitschrift telegraph

Am 12.11.90 beendet der MagiSenat den latenten Konflikt, in dem sich die Besetzerinnenbewegung befindet Nach dem im August und September mehrere Hausbesetzerlnnendemos stattgefunden hat­ten, nach dem man eine Neubesetzung in Mitte geräumt hatte und eine andere in Friedrichshain wegen des entschlossenen Widerstands der Besetzerinnen dulden mußte, nach dem der Ton rauher geworden war und die Besetzerinnen inzwischen eine eigene Zeitung hatten (Erster­scheinen der ersten Serie von insgesamt 29 Nummern am 5.8.90), geht die Verwaltung zum Angriff über, ln den frühen Morgenstunden wer­den zwei Häuser in Lichtenberg und ein Haus im Prenzlauer Berg geräumt. Begründung: Beset­zung nach dem 24.7., also nach dem Magi­stratsbeschluß. Bezirkspolitiker, wie etwa der stell vertretende Stadtbezirksbürgermeister von Prenzlauer Berg, die noch am Wochenende davor durch eilige Depeschen versuchen, den Wahnsinn aufzuhalten, werden an die Wand gedrängt. Der Senat will – also sei es.

Der Protest gegen die Räumun­gen, besonders aus den besetzten Häusern in der Mainzer Straße vorgetragen, entwickelt sich binnen Stunden zu einer Straßenschlacht. Die erste Runde, am Abend das 12. November, geht an die Besitzerinnen. Am 14. November wird die Mainzer Straße geräumt, mit dem größten Polizeiaufgebot und der militantesten Schlacht die das Nachkriegsberlin bei der Durchsetzung alternativer Lebensvorstellungen bis dahin ge­sehen hat. Alte Vermittlungsversuche von Poli­tikern und einfachen Bürgern, alte Solidaritäthat das nicht verhindern können. Die Beseizerlnnen-Bewegung Ostberlins ist endgültig aus dem Stande der Unschuld entlassen. Der Staat, der in diesem Teil der Stadt ein neuer Staat ist hat ein Exempel statuiert. Darum ging es. Und um die ersten gesamtberliner Senatswahlen, die vierzehn Tage später über die Bühne gehen sollten.

„Nach der Schlacht“ machte sich allerorten Re­signation breit. Die stadtweiten Strukturen, vor allem der B-Rat, zerbröselten nach den be­schriebenen Schwierigkeiten aus dem Früh­herbst nun völlig. Eine wirkliche Aufarbeitung der Ereignisse hat bis heute nicht stattgefunden. Alle waren sich mehr oder weniger darin einig, daß eine, die erste Phase von Hausbesetzungen hinter den Barrikaden und vor den Wasserwer­fern ihr Ende gefunden hatte. Daß damit im Grunde nachträglich den Senatsstrategen, die die Aktion später mit Lügen – etwa der, daß die Besetzerinnen die Magistrats-Verhandlungen abgebrochen hätten, oder der tollen Geschichte vom Weinballon, der zum Supermolli wurde -und Verdrehungen der Wahrheit zu rechtfertigen suchten, Recht gegeben wurde, ist inner­halb der Besetzerlnnen“bewegung“ nie vollstän­dig realisiert worden. Denn nicht zufällig war die Mainzer Straße Ziel der Staatsaktion – galt sie den Beamten doch immer als „Kopf der Bewe­gung“. Obwohl sich in Strukturen, die nur ein gleichberechtigtes Miteinander kennen (und solche sind Senatsbehörden eben genau nicht), eine solche Vorstellung selbst ad absurdum führt, ist der Zusammenbruch eben jener stadt­weiten Zusammenarbeit doch eine Bestätigung dieser aberwitzigen Behauptung. Zu der hier eingeklagten Aufarbeitung müßte dann nämlich auch die Frage gehören, inwieweit auf den am meisten politisch handelnde Teil einer Bewe­gung fast schon automatisch durch andere Teile Verantwortung delegiert wird, inwieweit sich die anderen darauf verlassen, daß „die da“, die „Politcracks“ es schon richten werden. (…) Sowohl der Abbruch der Gespräche durch den Magistrat als auch die Streitereien im gesamtberliner B-Rat leisteten einer neuen Ent­wicklung Vorschub. Zum einen waren zwischen­zeitlich in den einzelnen Stadtbezirken aus den alten Stadtbezirksplena unabhängig voneinan­der operierende B-Räte entstanden, zum ande­ren hatte der Magistrat seine Unzuständigkeit erklärt und darauf verwiesen, daß Vertragsver­handlungen ohnehin nur mit den bezirklichen Wohnungsbaugesellschaften zu führen seien. Aus dem Prenzlauer Berg war die Idee gekom­men, derartige Verhandlungen an einem soge­nannten „Runden Tisch Instandbesetzung“ zu veranstalten, an dem außer der zustandigen Wohnungsbaugesellschaft auch das Bezirks­amt und die in die Bezirksversammlung gewähl­ten Parteien vertreten sein sollten. Da sich diese Idee berlinweit nicht durchsetzen ließ, anderer­seits aber solche Fragen wie Winterfestmachung im November drängend wurden, entschloß sich der PrenzelBerg-Rat, für den 9.11. einen so/chen „Runden Tisch“ einzuberufen.

Die erste Runde blieb in ebenso wie die Verhandlungen des Vertragsgremiums mit dem Magistrat in Unverbindlichkeiten stek­ken; nur zwei der politischen Parteien sahen sich Oberhaupt genötigt, teilzunehmen. Die zweite Verhandlungsrunde fand dann am 16.11. unmittelbar nach den Ereignissen in der Main­zer Straße statt. Eben unter dem Eindruck die­ser Ereignisse kamen nun .wirkliche, auf Zieleorientierte Verhandlungen zustande – wenig­stens in diesem Stadtbezirk. Die Verhandlun­gen hatten ab dem zweiten Treffen ausschließ­lich einen politischen Charakter, denn auch im Prenzlauer Berg war es nicht unumstritten, sol­che Verhandlungen zu führen, während im Friedrichshain weitere Häuser von Räumung bedroht waren. Die sogenannte Verhandler-Fraktion im Prenzlauer Berg aber war nie ideo­logisch abgespalten von den sogenannten Hardlinern: mehrere Vertreter der Vertrags­gegner nahmen aktiv an den Gesprächen teil, um ihre – zuförderst politischen – Ansätze mit in die Verhandlungen einbringen zu können. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der PrenzelBerg-Rat selbst in dieser Zeit nur zwölf von 38 besetzten Häusern vertreten hat -die anderen allerdings hatten sich bereits ein halbes Jahr vorher durch Einzelverhandlungen Nutzungsverträge gesichert.

Nach zwei Monaten konnte im Prenzlauer Berg ein Vertragspaket aus Options­und Mietverträgen unterzeichnet werden, daß mindestens den Intentionen der Verfragsent-würfe des Vertragsgremiums sehr nahe kam. Die Besetzerlnnen Ostberlins hatten sich näm­lich in der Zwischenzeit mit den veränderten Rechtsvorschriften herumzuschlagen, insbeson­dere mit den Rückübertragungsanspruchen von Alteigentümern. Um dagegen in irgendeiner Art und Weise eine Gegenwehr zu haben, hatte der PrenzelBerg-Rat zähneknirschend beschlossen, sich auch auf Einzelmietverträge einzulassen. Gedacht war das am 11.1.91 paraphierte Vertragsmodell auch als eine Art Muster, das in den anderen Stadtbezirken nachgenutzt wer­den könnte. Ausgehandelt worden war außer­dem: Stellung eines Ersatzobjektes für das am 12.November geräumte Haus im Bezirk; Ange­bot der ausgehandelten Lösung an all die be­setzten Häuser des Bezirkes, die sich nicht durch den B-Rat hatten vertreten lassen (das war notwendig, weil durch die veränderte Rechts­lage die bereits vorhandenen Nutzungsverträge quasi unwirksam geworden waren); die Mög­lichkeit, nach wie vor leer stehende Gebäude an freie Gruppen zur Nutzung zu vergeben. Der Gesamtheit der Ergebnisse konnten sich schließ­lich auch die Häuser anschließen, die bis zuletzt gegen jede Verhandlungslösung der anstehen­den Probleme auftraten.

Erste Hausbesetzerdemonstration im Sommer 1990 Quelle: Zeitschrift telegraph
Erste Hausbesetzerdemonstration im Sommer 1990 Quelle: Zeitschrift telegraph

Aus anderen Stadtbezirken da­gegen sah sich der PrenzelBerg-Rat heftigen Angriffen ausgesetzt. Hauptvorwurf: man ma­che gemeinsame Sache mit dem „Schweine­system“. Nach den mehr oder weniger erfolg­reich zu Ende gebrachten Verhandlungen be­gann allerdings ein Umdenken. Ende Januar begannen Verhandlungen am „Runden Tisch Instandbesetzung Mitte“, Mitte März begann die „Projektgruppe besetzte Häuser Friedrichshain“ regelmäßig zu arbeiten. Hier zeigte sich jedoch bald, daß die Besetzerinnen im Prenzlauer Berg Sonderbedingungen vorgefunden hatten, die die dort gefundene Lösung entscheidend mitbe­stimmten. Dazu gehört unter anderem, daß die Mehrheit der am Runden Tisch Verhandelnden aus der ehemaligen DDR kamen (und von daher Konsenslösungen bevorzugten), daß sie in rechtsunsicheren Zeiten verhandelten und daß sie untereinander realtiv einig waren. Die Ge-spräche am Runden Tisch in Mitte dauerten fast fünf Monate – immer wieder zurückgeworfen durch sich ändernde Auslegungen des gerade geltenden Rechtes -, in Friedrichshain sind auch bedingt durch internen Streit von Teilen des Friedel-Rates Lösungen angenommen worden, die im Prenzlauer Berg einen Aufstand ausge­löst hätten.

Die nächste Runde
Im Frühjahr und Frühsommer 1991 kümmerte sich im Grunde jedes Haus ausschließlich um sich selbst. Die Vereinzelung, die mit dem Streit im gesamtberliner B-Rat begonnen hatte, er­reichte ihren ersten „Höhepunkt. Viele waren erschöpft von den schleppenden Verhandlun­gen an den Runden Tischen – das „Modell Prenzlauer Berg“ ließ sich eben nicht verallge­meinern ! – das Mitte-Plenum beispielsweise stellte seine Zusammenkünfte nach erfolgter Vertragsparaphierung ganz ein. Informelle Zu­sammenhänge zwischen Häusern und auch zwischen Stadtbezirken waren wieder aus­schließlich durch Kontakte unter Einzelnen ge­geben – entsprechend groß war die Verwirrung und die Menge der einander widersprechenden umlaufenden Informationen. Nach dem Zusam­menbruch des alten, auf Rotation ausgelegten Besetzerlnnen-Zeitungs-Konzeptes und einer Zwangspause von 12 Wochen, begann dieses minimale Austauschorgan zwar wieder zu er­scheinen, überbezirkliche Strukturen aber exi­stierten definitiv nicht mehr. Von den ehemals 12 Häusern nahmen an den weiterhin regelmä­ßig stattfinden Treffen des Prenzel-Rates maxi­mal drei oder vierteil; die Verhandlerlnnengruppe in Friedrichshain besteht mittlerweile aus sechs Häusern; diejenigen, die entschiedenen Wider­stand leisten und versucht haben, im Frühjahr einen B-und-Tat-Rat zu installieren, vertreten vier Häuser. Alle Versuche, so auch der eben genannte, alte berlinweite Strukturen wieder neu zu beleben, scheiterten. Die Besetzerinnen-„bewegung“ existiert de facto nicht mehr…“

weiter zum 2. Teil …

Aus telegraph, Nachdruck nur mit Genemigung.

vor 6 Jahren