Die HausbesetzerInnenbewegung in Ost-Berlin, Teil3

erschienen in der Zeitschrift telegraph, Ausgabe 11-12/1995

Der dritte Teil befast sich ausschließlich mit der Mainzer Straße. Die Mainzer Straße – Dieser Name allein reicht aus, um revolutionäre Straßenkämpferherzen höher schlagen zu lassen. Mainzer Straße, das ist der Stoff aus dem die Mythen sind. Doch die Mainzer Straße kann nicht reduziert werden auf drei Tage Barrikadenkampf und Widerstand gegen das „Schweinesystem“. Im Gegenteil, Mainzer Straße, dass ist viel mehr ein halbes Jahr freier und selbstbestimmter Hausbesetzeralltag in einer Friedrichshainer Nebenstraße.

1. Juni 1990: Blick in die Mainzer Straße von der Frankfurter Allee Quelle: Wikipedia Foto: Renate Hildebrandt
1. Juni 1990: Blick in die Mainzer Straße von der Frankfurter Allee
Quelle: Wikipedia
Foto: Renate Hildebrandt

Es begann alles etwa Anfang April 1990. Zu dieser Zeit, die Besetzerbewegung zeigte erste Anzeichen der Stagnation, als bis dahin geheim gehaltenen Informationen über Spekulations- und Umstrukturierungspläne zwischen der Friedrichshainer KWV und einer Nachfolgefirma der berüchtigten Immobilienfirma Neue Heimat, der „WIR“ bekanntwurden. Es ging um die Übernahme oder gemeinsame Bewirtschaftung großer Teile des Stadtbezirks, so zum Beispiel in der Niederbarnimstraße, der Mainzer und der Kreutziger Straße. Die Friedrichshainer KWV sollten zuvor einige Bedingungen erfüllen, um das Geschäft für die Neue Heimat lukrativ zu machen. Die zur Debatte stehenden Häuser müssten saniert werden. „Natürlich“ durch die KWV. Die Maßstäbe wiederum setzte die WIR. Hinzu kam, dass es zunehmend zu faschistischen Attacken gegen die wenigen Besetzer in Friedrichshain kam. Als trauriger Höhepunkt dieser Attacken überfielen in der Nacht des 4. April 1990 zwölf Nazis in einer, anscheinend lang vorbereiteten und geplanten Aktion ein besetztes Haus in der Kreutziger Straße. Die mit Gasmasken ausgerüsteten Nazis versprühten CS-Gas und schlugen eine Bewohnerin krankenhausreif. Dieser Zustand veranlasste nun einige„Mitgliederlnnen autonomer Gruppen aus Ost und West“, in der Polit-Szene-Zeitschrift „INTERIM“ einen Aufruf zu veröffentlichen. In Bezugnahme auf oben beschriebene Zustände im Stadtbezirk Friedrichshain und der Tatsache, dass sich von 70 besetzten Häusern im Osten ledig drei in Friedrichshain befänden, wurden in diesem Schreiben„Frauen und Männer aus Ost und West“ auf gefordert, „sich diese Häuser zu nehmen, bevor es zu spät ist. Bildet Gruppenzusammenhänge und beendet Eure Wohnungsnot! Wir schlagen Euch ein gemeinsames Treffen vor, um konkrete Schritte und Vorbereitungen zu besprechen. Dies soll in der ‚Kirche von Unten‘, (…) am 29.04.1990 um 20.00 Uhr stattfinden. Auf diesem Treffen konnten jene Autonome jedoch lediglich registrieren, dass viele gar nicht so lange gewartet hatten und schon Tage zuvor im Bereich Mainzer-/Kreutziger Straße und auch in anderen Straßen Besetzungen stattgefunden hatten.

Der Mainzer wird neues Leben eingehaucht

4. Juni 1990: Mainzer Straße 7 Quelle: Wikipedia Foto: Renate Hildebrandt
4. Juni 1990: Mainzer Straße 7
Quelle: Wikipedia
Foto: Renate Hildebrandt

Trotzdem gilt erst der 30. April 1990 als offizieller Tag der Besetzung der Mainzer Straße. Zuerst wurden die Häuser Nummer 2-11 besetzt, später auf der anderen Straßenseite Seitenflügel bzw. Quergebäude der Mainzer Str. 22, 24. Es entstanden verschiedene Polit- und Wohnprojekte: Mainzer3: Frauenhaus mit Frauen Café Mainzer 4: Forellen-Hof, Das einzige Tuntenhaus in Berlin, im Erdgeschossbereich das Antiquariat Max Hoelz Mainzer 5: Wohnhaus mit Infoladen Mainzer 6: Wohnhaus mit Kneipe Mainzer 7: Wohnhaus mit Spätverkauf Mainzer 9: Wohnhaus mit Volxküche Mainzer 22/24: Wohnhäuser mit Volxküche und Kinderspielplatz Weiterhin gab es ein Kino und den Sammelbriefkasten für die wöchentliche Besetzerinnenzeitung Die von Hausbesetzern produzierte Videomonatsschau „AK-Kraak“ interviewte in der Ausgabe August 1990 drei Besetzer der Mainzer Straße zu ihrem Alltag in der Straße: AK Kraak:: Warum lebst du in einem besetzten Haus? A: Ich habe versucht in Westberlin unterzukommen, ‚weil ich in Westberlin studieren wollte, habe dort aber nichts gefunden und habe den Tip auf dem Potsdamer bekommen (zur damaligen Zeit war der Platz von Autonomen besetzt und ein Hüttendorf errichtet worden; d. Red), hierher zu kommen in die Mainzer Straße und mit zu besetzen. B: Wegen dem Zusammenleben hier im Haus mit meinen Hausbesetzerkollegen, mit den Freunden die man hier inzwischen gefunden hat und anderen Leuten auf der Straße und unter anderem die politische Szene die sich hier bewegt. C: Weil hier viele Häuser leer stehen und drüben herrscht der Wohnungsmangel, und so. AK Kraak: Und gibt es darüber hinaus noch politische Gründe ein Haus zu besetzen? C: Also ich habe schon Bock mit den Leuten hier zusammen zu wohnen, ich meine, es ist schon politisch genug, dass ich überhaupt hierhergekommen bin.

TAZ-Tisch-in-der-Mainzer
Einer der spektakulärsten Aktionen die von Bewohnern der Mainzer Straße durchgeführt wurde, war die Entführung des Kommune 1 -Tisches aus der Kantine der Tageszeitung“(TAZ).
Quelle: Archiv BesetzerInnenzeitung

AK Kraak: Wie ist das Verhältnis zwischen Ost-und Westbewohnern? A: Da prallen verschiedene Daseinsformen und verschiedene Erfahrungen aufeinander und das ergibt von vornherein schon ein spannendes Zusammenleben. (…) AK Kraak: Denkst du, dass die Mainzer Straße eine besondere Rolle spielt? B: Eine andere Perspektive entsteht für die Polizei oder für die zuständigen Behörden, dass in dieser Zusammenballung eventuell eine größere Gefahr gesehen wird, als Ausgangspunkt für politische Aktionen oder als ein potentielles, unkontrollierbares Feld der linken radikalen Szene. AK Kraak: Wie ist das Verhältnis zur Polizei und gibt es eine Sicherheitspartnerschaft mit ihr? C: Polizisten, da muss ich erst einmal unter-‚ scheiden zwischen VoPo‘s und den Westbullen. Das Verhältnis zu den VoPo‘s ist noch nicht ganz so schlecht wie zu den Westbullen, wobei ich sagen muss, das sich das jetzt in letzter Zeit verschlechtert, weil die VoPo‘s ihr Verhalten gegenüber uns auch schon geändert haben. Am Anfang waren die immer noch ganz freundlich und jetzt ist es auch schon so, dass sie sich wegen jedem Scheiß aufregen. Wenn Leute mit dem Fahrrad über den Bürgersteig fahren oder ohne Licht. B: Die Sicherheitspartnerschaft ist seitens der Besetzer vor längerer Zeit aufgekündigt worden. AK Kraak: Warum? B: Dafür gab es mehrere Argumente. Ein Argument war, dass die Polizei sowieso nicht in der Lage sei, uns effektiv zu schützen. Ein anderes, dass die Sicherheitspartnerschaft ausgenutzt werden könnte oder würde, die Häuser auszuspionieren, für den Fall, dass wir geräumt werden sollten und drittens das die Polizei zu passiv ist. (…) AK Kraak: Wie ist das Verhältnis zu den An-* wohnern in der Straße? C: Teils gut und teils schlecht. Es gibt welche, die haben was gegen uns und wollen uns hier raus haben und haben auch schon eine Bürgerinitiative gegründet, aber es gibt auch ganz tolerante Nachbarn, die auf unserer Seite sind und ich denke, dass wir uns mit ihnen einigen. können. B: Es gibt bestimmt einige, denen die Nachbarn egal sind. Mir sind sie nicht egal, weil ich hier unter anderen auch eine Möglichkeit sehe eine andere Form des Zusammenlebens zu installieren und das sollte sich nicht nur auf ein Haus, oder auf den rechten Flügel der Straße beschränken.

Müllentsorgung auf Mainzer Art.

Nachdem der Bezirksbürgermeister Mendiburu die Bewilligung für Schuttcontainer zu Entsorgung der immer höher wachsenden Schuttberge in der Mainzer Straße verweigerte, entsorgten die Besetzer den für sie unhaltbaren Zustand am 15.08.1990 auf ihre Weise. Sie kippten den Schutt kurzerhand auf eine zuvor abgesperrte Spur der Frankfurter Allee. Allerdings rückte sehr bald die VP an und unterband weiteres Abkippen. Kurze Zeit später rückte der Stellvertretende Bezirksbürgermeister an. Passanten blieben stehen, Diskussionsgrüppchen bildeten sich, erste Presseleute tauchten auf. Es entstand ein öffentlichkeitswirksamer Menschenauflauf. Gegen 18.30 Uhr gab die Ordnungsmacht auf und spendierte insgesamt vier Schuttcontainer. Am nächsten Tag erhielten die Besetzer der Mainzer Straße durch den Oberbürgermeister von Ostberlin Schwierzina die Zusage für weitere Container, so dass in den darauffolgenden drei Tagen das Schuttprobleminder Mainzer Straße zumindestens vorübergehend gelöst wurde.

Die „Befreiung“ des K1 Tisches

Einer der spektakulärsten Aktionen die von Bewohnern der Mainzer Straße durchgeführt wurde, war die Entführung des „Kommune 1“ -Tisches aus der Kantine der Tageszeitung“(TAZ). Zwanzig Personen betreten am heller lichten Tag das Gebäude der TAZ“ in der Kochstraße, demontierten den K1 -Tisch und trugen ihn ungehindert aus dem Haus. Einige Tage später wurde die Berliner Presse in die Mainzer Straße eingeladen und ihnen der Tisch präsentiert. Der TAZ“ wurde von den Enteignern eine sogenannte „Kommandoerklärung“ zugesandt.

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12. November 1990: Auftackt zu Räumung der Mainzer: Die Polizei greift die Mainzer mit Räumpanzer, Wasserwerfer und Mannschaftswagen an. Der Wasserwerfer beschießt wahllos die Fenster der Straße. Quelle: Zeitschrift telegraph 11-12/1995

Die TAZ“ reagierte erwartungsgemäß sauer und mit Schaum vorm Maul. In zwei Artikeln am 27.08.1990 bezeichneten sie die Enteigner als „Rotzlöffel“ und stellten fest, dass eben jene, „…mutmaßlich aus der Ostberliner Mainzer Straße…“ Stammenden, den Tisch am allerwenigsten verdient haben. Im Gegenteil. Verdient hätten dieses, 1969 vom angeblich ersten und einzigen „… Sozialistischen Anwaltskollektiv Mahler-Eschen-Preuß-Ströbele…für 800 Deutsche Mark erstandene „… 5,50 mal 1,50 Meter großes Schmuckstück…“ natürlich nur die ATZ“, nachdem sich die damaligen Kommunen 1 und 2 jenes platzaufwendige Möbelstück gegenseitig übergeben und wieder abgenommen hatten, aus von heutiger Sicht sehr kleinkarierten Gründen. Nachdem die „Reliquie“, so die TAZ“, anschließend so wohlklingenden revolutionären Organisationen wie der „…Proletarische Linke/ Parteiinitiative, den Spontis und der Roten Hilfe als Versammlungsplatz…“ gedient hatte, sei sie dann 1979 der TAZ“ übergeben, da diese (so die TAZ* über sich selbst) „… die Zeitung der legitime Erbe der Studentenbewegung sei…“. Betrachtet man , was mehrheitlich aus eben jenen Studenten von damals geworden ist, nämlich etablierte Geldsäcke und Stützen des Staates, mag die TAZ“ wohl Recht haben. In der TAZ“ angekommen, wurde der immer noch sehr große Tisch nicht, wie die Redakteure glauben machen wollten, als Redaktionstisch genutzt, sondern sehr schnell in die Kantine verbannt, wo er immerhin die sehr praktische Funktion einer Essenunterlage und Trassenabstellfläche bekleidete, bis zu jenem Tage im August… Der weitere Verbleib des Tisches soll noch schnell geschildert werden. Unmittelbar vor der Räumung der Mainzer Straße wurde der Tisch, der bis dahin, zerlegt in seine Bestandteile, auf mehrere Häuser verteilt war, aus der Straße geschafft und versteckt. Nachdem er mehreren anderen Häuser und Initiativen angeboten wurde, unter anderem dem Infoladen Bambule in der Schönhauser Allee 20, landete der Tisch in der besetzten Villa in Zeesen bei Königs Wusterhausen. Zu den Bewohnern, mehrheitlich „apolitische“ Künstler gehörten auch einige Ex-Mainzer. 1993 wurde ihnen der Tisch auf ähnliche Weise wie der ATZ“ und mit ähnlicher Begründung durch Besetzer der Potsdamer Hausbesetzerszene entwendet. Da ihrer Meinung nach niemand den Tisch verdient hätte und sie ein für allemal das Problem aus der Welt schaffen wollten, wurde der Tisch in Potsdam demonstrativ verbrannt.

Die Räumung der Mainzer Straße

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Über 1.000 Menschen errichten den Barrikaden und wehren dien Angriffe von 1.500 Polizisten, mehrere Wasserwerfer und Räumpanzer ab. Am 13.11. gegen 2.30 Uhr zieht sich die Polizei vorerst zurück. Quelle: Zeitschrift telegraph 11-12/1995

Schon in den Sommermonaten zeichnet sich ab, dass der Ostberliner Magistrat keine Einigung mit den besetzten Häusern wollte. Er spielt auf Zeit und hofft, somit das Problem über den 3. Oktober 1990 und damit in die Zuständigkeit der BRD-Institution zu befördern. Dass die Mainzer Straße Verträge erhalten werde, schien völlig ausgeschlossen. Dies jedenfalls schloss der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain Mendiburu kategorisch aus. Es machten sich unbestätigte Gerüchte breit, dass die Westberliner Polizei seit einiger Zeit in einer für das Häuserkampftraining bestimmten Geistersiedlung am Stadtrand von Westberlin, die Räumung der Mainzer trainiere. Am 3. Oktober 1990 nahm die Westberliner Polizei die Geschicke auf den Ostberliner Straßen in die Hand und der Rot-Grüne Momper-Senat die Hebel der Macht. Die Situation spitzte sich zu.

Augenzeugenbericht über eine militärische Aktion … der Traum ist aus ! (aus „telegraph“ Nr. 16, vom 23.11.1990):

„Montag-Morgen, 12.11.90, Pfarrstraße. Polizeieinheiten fahren auf und räumen zwei Häuser. Die Besetzerinnen setzen sich nicht zur Wehr und werden für mehrere Stunden festgenommen. Gleichzeitig werden ein Haus in der Cotheniusstraße in Prenzlauer Berg und ein Haus in Mitte geräumt. Als diese Nachricht in der Mainzer Straße bekannt wird, bildet sich ein spontaner Demozug von ca. 100 Menschen mit dem Ziel Pfarrstraße. Doch schon an der Frankfurter Allee, nach ca. 100 Metern, wird er von aufgefahrener Polizei gestoppt und zurückgedrängt. Die Mainzer Straße wird von der Polizei abgeriegelt. Die Besetzerinnen verbarrikadieren sich in ihren Häusern. Wasserwerfer, Räumpanzer, gefolgt von mehreren Mannschaftswagen rücken vor. Der Wasserwerfer beschießt wahllos die Fenster der Straße. Als der Konvoi mitten in der Straße ist, wird er von der Dächern und aus den Häusern massiv mit einem Steinhagel eingedeckt. Die Polizei muss sich zurückziehen.

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13 November 1990 – Barrikade aus Richtung Boxagener Strasse Quelle: Zeitschrift telegraph 11-12/1995

Mittlerweile kursiert die Nachricht wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Gegen 13.00 Uhr sind bereits mehrere hundert Unterstützerinnen aus allen besetzten Häusern und aus allen Stadtteilen in der Mainzer Straße angelangt. Es werden notdürftig mehrere Barrikaden in der Mainzer und in der angrenzenden Scharnweberstraße errichtet. Gegen 14.00 Uhr versucht die Polizei in ein besetztes Haus (Scharnweber Straße/ Ecke Colbestraße) einzudringen. Sie wird ziemlich schnell zurückgedrängt. Die Polizei schießt mit Gasgranaten. Kurz danach geht die Polizei erneut über die Scharnweber mit schwerem Gerät vor. Ein Räumpanzer schiebt die Notbarrikaden beiseite. Er dringt, gefolgt von einem Wasserwerfer und einer Hundertschaft Polizei bis zur Mainzer Straße vor. Erneuter Gaseinsatz. An der Mainzer Straße ist für sie erst einmal Schluss. Es geht ein Hagel von Steinen und Brandflaschen auf sie nieder. Die Polizisten müssen sich unter dem Schutz ihrer Fahrzeuge in Richtung Colbestraße zurückziehen. Wasserwerfer und Räumpanzer verlassen die Mainzer in Richtung Boxhagener „Straße. Nun werden im Bereich Colbe/Scharn-weber/Mainzer Straße die Barrikaden ausgebaut, das Pflaster aufgerissen, Gräben ausgehoben, Wälle aufgeschüttet. An der Frankfurter Allee entsteht eine Barrikade, die bis zum Schluss hält und für die Polizei trotz Räumtechnik unüberwindbar bleibt. Gegen Abend befinden sich über 1.000 Menschen hinter den Barrikaden. Ihnen stehen 1.500 Polizisten, mehrere Wasserwerfer und Räumpanzer gegenüber. Für 20.00 Uhr ist seitens der Besetzerinnen eine Vollversammlung geplant, gegen 22.00 Uhr eine Demo auf dem Ku-Damm. Doch zur Versammlung kommt es nicht Die Polizei greift gegen 19.30 Uhr erneut an. In der Scharnweber laufen immer wieder Plänkeleien. Gasbeschuss, Wasserwerfereinsatz.

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14. November 1990: Polizisten dringen in die Mainzer aus Richtung Boxagener Strasse ein. Quelle: Zeitschrift telegraph 11-12/1995

Zu dieser Zeit befinden sich verschiedene Parlamentarier und Presseleute, unter ihnen Bärbel Bohley, Reinhard Schult vom Neuen Forum und Reiner Börner von der PDS, AL-er, aber auch Bezirksbürgermeister Mendiburu hinter den Bullen. Sie bemühen sich intensiv zu vermitteln und den Polizeieinsatz zu stoppen. An der Boxhagener Straße/ Ecke Mainzer Straße werden zwei Straßenbahnen gestoppt, Bauwagen umgeworfen, so dass dieses Gebiet bis zum Morgen für die Polizei nicht befahrbar ist. Um 22,00 Uhr demonstrieren 200 Menschen auf dem Ku-Damm. Derweil werden auch auf der Frankfurter Allee Barrikaden errichtet. Die Polizei beginnt mit einem frontalen Angriff auf die Mainzer Straße. Ein riesiger Pulk Polizisten rückt auf der ganzen Breite der Frankfurter vor. Räumpanzer und Wasserwerfer machen sich an der großen Barrikade zu schaffen. Als der Polizeipulk fast an der Mainzer ist, hagelt es von den Dächern Pflaster- und Ziegelsteine, Dachziegel und Brandflaschen. Die Polizisten ziehen sich panisch in die Seitenstraßen und an die Häuserwände der Frankfurter Allee, gegenüber der Mainzer zurück. Bis zum 13.11., ca. 2.30 Uhr dauert der Kampf. Im weiteren Tagesverlauf und der darauffolgenden Nacht versuchen Parlamentarier und der Berlin-Brandenburger Bischof Forck an zuständige Personen heranzukommen. Vergeblich. Innensenator Pätzold lässt sich verleugnen, Innenstadtrat Krüger erweist sich als nicht zuständig, die Bürgermeister Schwiertzina und Momper sind in Moskau.

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14. November 1990, 7.30 Uhr: 4.000 Polizisten, zehn Wasserwerfer, ebenso viele Räumpanzer, sowie Sondereinsatzkommandos, Hubschrauber, Bundesgrenzschutz erobern die Mainzer Straße. Quelle: Zeitschrift telegraph 11-12/1995

Am 14.11. 7.30 Uhr greift die Polizei erneut an. 4.000 Polizisten, zehn Wasserwerfer, ebenso viel Räumpanzer, Sondereinsatzkommandos, Hubschrauber, Bundesgrenzschutz. Die nur noch ca. 500 Menschen, erschöpft, übermüdet, haben keine Chance. Zwei Stunden dauert es diesmal nur noch. Die Menschen hinter den Barrikaden, mit Gas völlig eingenebelt, wehren sich verzweifelt und verbissen. Als die Ecke Scharnweber/Mainzer fällt, flüchten sich die nur noch ca. 300 Menschen in die Häuser. Noch eine Stunde dauert es, bis die Polizei in die Häuser eingedrungen ist und die sich nicht wehrenden Menschen festnimmt. Bis in den späten Nachmittag braucht die Polizei, um die Gefangenen abzutransportieren. Sofort werden die Barrikaden beseitigt, um die Spuren zu tilgen. Am Abend demonstrieren 15.000 Menschen, aus Solidarität mit den nun heimatlosen Besetzerinnen der Mainzer. Am Frankfurter Tor und am Bersarin-Platz gibt es bis Nachts um 1.00 Uhr erneut militante Auseinandersetzungen mit der Polizei.

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Nach dem Ende der Kämpfe werden etwa 300 Verteidiger auf den Höfen der eroberten Häuser zusammengetrieben. Dort müssen sie stundenlang gefesselt stehen und auf ED-Behandlung, sowie Abtrasport in Sammelknäste warten.
Quelle: Zeitschrift telegraph 11-12/1995

In den Nachrichten protzen die politisch Verantwortlichen Pätzold und Momper mit ihrer harten Haltung und ihrem Sieg, versuchen ihr Handeln mit schauderhaften Lügen über die ehemaligen Besetzerinnen zu verteidigen. Und in den Häusern feiern grölend besoffene Polizisten ihren ach so „glorreichen“ Sieg. Der Traum ist aus. Aber wie heißt es weiter in dem Lied von Ton Steine Scherben: „…doch wir werden alles geben, dass er Wirklichkeit wird.

DOKUMENTATION

Flugblatt aus der Ostberliner Häuserszene

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14. November 1990: Ein gefangener Hausbesetzer wird abgeführt Quelle: Zeitschrift telegraph 11-12/1995

Forderungen des Mainzer-Straßen-Plenums aus der Presseerklärung vom 12. November 1990 zu den Angriffen auf die Mainzer Straße und andere besetzte Häuser: Wir fordern: den sofortigen Rückzug der Bullen aus dem Friedrichshainer Kiez, eine schriftliche Nicht-Räumungs-Garantie des Regierenden Bürgermeisters Momper für alle besetzten Häuser, um eine Wiederaufnahme der Verhandlungen mit dem Ziel einer Rahmenvereinbarung ebenfalls für alle besetzten Häuser zu ermöglichen. Rückgabe der am 12.11. geräumten Häuser an die Bewohnerinnen – Rücknahme aller Strafverfahren im Zusammenhang mit erfolgten Häuserräumungen.

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Aus telegraph, Nachdruck nur mit Genemigung.

vor 6 Jahren